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Wirklich wahr: Schiedsrichter können jetzt sprechen!
Ab sofort kommentieren Unparteiische während des Spiels Entscheidungen. Für Fever Pit'ch-Kolumnist Alex Steudel wird ein Traum wahr – ein bisschen Angst hat er trotzdem: Wird das Revolution oder Chaos?
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Einerseits freue ich mich darüber, dass die deutschen Schiedsrichter an diesem Wochenende beginnen, Durchsagen in den Stadien zu machen und ihre VAR-Entscheidungen erklären. Ich habe andererseits ein bisschen Angst davor.
Irgendwie kennt dieses Gefühl doch jeder: Scheinbar ewig sehnst du etwas herbei, und wenn dann klar wird, dass es wirklich geschieht, kommen die Zweifel. Du fragst dich: War das echt das, was ich wollte? Wird es mich zufriedenstellen?
Für viele ist der Zweifel ein lebensgegleitender Umstand. Es geht mit dem ersten Chemiekasten unterm Weihnachtsbaum los („Wäre das Fahrrad nicht vielleicht doch besser gewesen?“), setzt sich später bei der Jobwahl fort und endet im Standesamt.
Hier geht’s zum Schiedsrichter-Podcast
Seit Jahren möchte ich, dass Fußballschiedsrichter wie in der NFL endlich auch persönlich und vor allem live davon berichten, warum sie gerade etwas entschieden haben. Dass sie nicht erst eine Stunde danach aus der Kabine gekrochen kommen wie in der Bundesliga – oder, noch schlimmer: ich am Montag oder Dienstag, wenn die Schiedsrichtergilde ausgeschlafen hat, in einer Presseinfo lesen muss, warum das eine richtig und weshalb das andere völlig falsch entschieden worden ist.
Und jetzt passiert es tatsächlich, das Unglaubliche: Der deutsche Fußball wird modern.
„In der Bundesliga wird eine Testphase mit Schiedsrichter-Durchsagen im Stadion nach VAR-Eingriffen gestartet. Mehr Transparenz ist das erstrebenswerte Ziel, die DFB-Referees sind auf den Schritt aber nur wenig vorbereitet.“
Die Meldung habe ich diese Woche gelesen. Zu meinem Gefühl der Vorfreude und Erleichterung gesellte sich aber gleich Zweifel. Ich sag‘ nur: wenig vorbereitet.
Einerseits kann nicht viel schiefgehen, der Schiedsrichter muss doch bloß sagen, warum er was entschieden hat.
Andererseits: Irgendwie geht ja bei den Schiris immer was schief. Nur weil ein Unparteiischer eine Entscheidung live erklärt, heißt das noch lange nicht, dass sie auch stimmt.
Nehmen wir das Handspiel im Strafraum. Jeder sieht solche Szenen anders, da bringt das beste Erklären nichts.
Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass der englische Schiedsrichter Anthony Taylor im EM-Viertelfinale gegen Spanien selbst nach mehrmaliger Überprüfung des klarsten Handspiels aller Zeiten von Marc Cucurella sich hingestellt, sein Mikro angemacht und gesagt hätte:
„Clearly no handball, you fucking Germans.“
Das mag eine Extremsituation gewesen sein. Andererseits: Bei Schiedsrichtern habe ich den Eindruck, sie leben in einer einzigen Dauer-Extremsituation, weil es liveerklärungsunabhängig für viele Szenen auf dem Platz kein Richtig oder Falsch gibt.
„Leute, ich habe mir das jetzt 17-mal angesehen und muss euch ganz ehrlich sagen: Ich hab‘ keinen Schimmer, ob das Hand war. Ich entscheide jedenfalls auf Elfmeter, fragt nicht warum. (…) Ah, ich höre gerade, ich muss das ja neuerdings erklären. Okay, okay, wir haben wie immer eine Münze geworfen.“
Damit könnte ich leben. Der gnadenlos investigative Journalist in mir wünscht sich lieber knallharte Wahrheiten als Wischiwaschi. Und das Ganze gern auch ein bisschen menschelnd.
„Der Wirtz stand vier 100stel Millimeter tief im Abseits, wie eine Untersuchung unterm Elektronenmikroskop ergeben hat. Das ist lächerlich, aber was soll ich machen, Leute?“
Das wäre wenigstens ehrlich.
„Schwalbe und Gelb für Adeyemi – den Typen hatte ich schon lange auf dem Kieker. Schaut hin, wie dumm er gleich aus der Wäsche gucken wird. Ich liebe meinen Job!“
Ich hoffe nur, dass die Schiedsrichter das neue Tool nicht missbrauchen.
„Nach mehrmaligem Betrachten der Szene auf einem Samsung OLED 4K S90D Neural Quantum, der für ein atemberaubendes Seherlebnis und gestochen scharfes Upscaling sorgt und zurzeit bei MediaMarkt für kurze Zeit auf 2377 Euro herabgesetzt ist, entscheide ich: Der Spieler Müller im Trikot mit dem Aufdruck „T“ wie „Telekom“, wo der 40 Gigabyte Tarif gerade auf 39,96 Euro herabgesetzt wurde, stand im Abseits.“
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