Wie Sepp Maier aus der Kurve flog
Die Torwart-Legende wollte ewig im Tor stehen. Bis ein schwerer Autounfall ihn lebensgefährlich verletzte. Uli Hoeneß rettete ihm das Leben
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Auffällig viele Karrieren deutscher Nationaltorhüter endeten auf spektakuläre Weise, mit Fußball hatte es weniger zu tun. Einer beleidigte den Bundestrainer, ein anderer die ganze Branche mit einem Enthüllungsbuch, einer trat beleidigt zurück und bereute es. Das blieb Sepp Maier, der am Mittwoch 80 Jahre alt geworden ist, erspart. Aber auch bei ihm ging es vor 45 Jahren um Leben und Tod. Den Kampf um sein Leben gewann er, den um seine Karriere verlor er. Rückblick auf den Juli 1979, als der Himmel seine Schleusen über Oberbayern öffnete.
Sepp Maier ist ein Jahr nach der verkorksten WM in Argentinien der wichtigste deutsche Fußballer. Nach dem Rücktritt von Berti Vogts ist der Torwart auch Kapitän der Nationalmannschaft, ebenso im renommiertesten Verein des Landes, dem FC Bayern München. Mit 34 Jahren steht er noch voll im Saft, für Torhüter ist das ja kein Alter, schließlich ist Italiens Nummer eins, Dino Zoff, schon 37.
Überhaupt kann ihm keiner was anhaben, sein Körper scheint unzerstörbar, seit 13 Jahren hat Sepp Maier kein Bundesligaspiel verpasst – 442 Einsätze in Serie sind noch 45 Jahre später Rekord. Ein halbes Dutzend Ersatztorhüter, die keine Sekunde spielen, hat er verschlissen. Und so soll es auch dem Neuen aus Hamburg gehen. „Der Junghans wird hier zum Althans“, witzelt er bei der Vorstellung von Walter Junghans, immerhin DFB-Auswahlkeeper im Juniorenbereich.
Sepp Maiers Selbstbewusstsein ist seine große Stärke, aber auch sein Schicksal. Sein Faible für schnelle Autos und der Glaube an seine Unverwundbarkeit haben fatale Folgen an jenem Samstag, 14. Juli, der mit einem 1:1 im Test bei Zweitligist Ulm 46 schon nicht gut beginnt. Auch die dritte Halbzeit ärgert den Sepp. Die Gastgeber stechen zum Essen ein Fass Bier an, aber Trainer Pal Csernai verhängt striktes Alkoholverbot. „Ich hab mir gedacht: Was bist Du doch für ein armer Hund, kannst nicht einmal trinken, was du willst“, heißt es dazu in Maiers Biografie. Das will er so nicht auf sich beruhen lassen. Nach der Rückkehr an die Säbener Straße holt er sich, was er braucht: „Um dem Trainer eine Nase zu drehen oder einfach aus einer Trotzreaktion bin ich rein in die Gaststätte.“
Es bleibt bei einem Bier, aber es verzögert die Abfahrt um womöglich entscheidende Minuten. Es ist schon gegen 22 Uhr. Am Himmel braut sich ein Unwetter zusammen. Maier muss noch heim nach Anzing fahren. Auf der Autobahn bricht es los, „der Scheibenwischer stand auf der höchsten Stufe, trotzdem schaffte er kaum die Wassermassen.“ Mit Mühe erkennt er die Ausfahrt nach Anzing, und er weiß von der „Gefährlichkeit der Linkskurve, da, wo die Straße sich verengt“, aber auch darum, dass bei so einem Wetter eigentlich nie Gegenverkehr ist. Diesmal schon. Er fährt zwar „gar nicht so schnell, vielleicht 80 km/h – da merkte ich, wie ich die Gewalt über den Wagen verlor.“
Sein Mercedes 450 SEL dreht sich, „sekundenlang hat man das Gefühl zu fliegen“, dann kracht er in ein entgegenkommendes Fahrzeug. Die Schuld trägt er. Polizei-Oberkommissar Winner aus Rosenheim: „Wie wir bisher feststellen konnten, geriet Herr Maier auf regennasser Fahrbahn ins Schleudern, rutschte auf die Gegenfahrbahn und knallte frontal mit einem entgegenkommenden Mercedes zusammen. Ein hinter Maier fahrender Opel Kadett fuhr auf den Unfall auf. Sepp Maier wurde erheblich verletzt ins Kreiskrankenhaus Ebersberg, die beiden Frauen im anderen Mercedes in die Kliniken von Perlach und München gebracht. Der Kadettfahrer blieb unverletzt.“ Als die Rettungskräfte die Tür öffnen und den halb besinnungslosen Maier herausholen, schreit er sie an: „Ich bin gar nicht gefahren!“ Weil er noch unter Schock steht, nicht weil er nach Ausflüchten sucht. Sie wären auch aussichtslos, es gibt keine Mitfahrer.
Das eigentliche Drama spielt sich im Krankenhaus ab. Dort diagnostizieren sie nur ein paar Rippenbrüche. Aber zu seinem Glück traut der von Sepps Frau informierte und sogleich herbeigeeilte Neu-Manager Uli Hoeneß, seit 1. Mai im Amt, den Diagnosen des Wochenenddienstes in der Klinik nicht.
Uli Hoeneß alarmiert den Vereinsarzt Dr. Viernstein, und der ordnet nach seiner Visite die sofortige Verlegung in die Orthopädische Klinik in Harlaching an, wo die Röntgenbilder einen Lungenriss ergeben. Die Leber hat sich hineingeschoben. Das Zwerchfell ist auch gerissen. Zweieinhalb Liter Blut haben sich in der Bauchhöhle gesammelt. „Wie fühlen Sie sich, wenn Sie einatmen?“, fragt einer der Ärzte, und Maier stöhnt: „Das tut elend weh, und ich kann nicht so richtig durchschnaufen.“
Am Montag, 16. Juli, wird Sepp Maier 48 Stunden nach dem Unfall operiert, abends um zehn. Für den Nationaltorhüter legen die Ärzte eine Nachtschicht ein. Der Mann, der ihn rettet, verdient Erwähnung: ein Doktor Heberer. Auch er bekommt eine Kostprobe von Maiers legendärem Humor. Vor dem Eingriff schauen sie sich auf dem Monitor seine Lunge an. Sepp witzelt über das Schwarz-Weiß-Bild: „So viele Millionen hat das Klinikzentrum gekostet – für einen Farbfernseher hat es wohl nicht mehr gereicht?“
19 Tage verbringt Maier in Großhadern, nimmt zehn Kilo ab und wähnt sich zwischendurch „an der Schwelle vom Leben zum Tod“. Fast täglich an seinem Bett: Frau Agnes und Uli Hoeneß, mit dem er 1974 Weltmeister geworden ist und der nun, obwohl acht Jahre jünger, formal sein Chef ist. Seinen Respekt und ewigen Dank hat er schon. „Der Uli hat mir das Leben gerettet“, betont Maier bei jedem runden Geburtstag, wenn man ihn zu dieser Zäsur befragt. „Einen Tag länger in Ebersberg mit meinen ‚Rippenbrüchen‘, und es wäre aus gewesen.“
Aus ist es nur mit dem Fußball, was er noch nicht sofort wahr haben will. Die EM 1980 und die WM 1982 stehen auf seinem Programmzettel, das 100. Länderspiel und 500 Spiele für Bayern will er zudem voll machen.
Es bleibt bei 473, denn er schafft es nicht mehr. Monatelang hofft Maier auf sein Comeback, doch Csernai übersieht ihn regelrecht und setzt auf Junghans, auch der Arzt rät ab. Am 21. November 1979 gibt Maier sein Karriereende bekannt. Zähne knirschend und mit einigem Hass auf Csernai, den er zu seinem Abschiedsspiel am 3. Juni 1980 ausdrücklich auslädt, überlässt er Walter Junghans „sein“ Tor, das er 13 Jahre ununterbrochen gehütet hat.
Auch mit dem Verein gibt es Zoff um die Einnahmen des Abschiedsspiels. 1980 meint Maier es noch ernst, als er schreibt: „Nach dem ganzen Theater haben die Agnes und ich uns jedenfalls vorgenommen, dass das Kapitel Bayern München für uns abgeschlossen ist. Für die nächste Saison kaufen wir uns einen Logenplatz bei den Sechzigern.“ Das geregelte Leben des Sepp Maier im Juli 1979 aus der Kurve geschleudert worden, wegen des einzigen Fehlers, der ihm nach seiner Ansicht neben dem Platz passiert ist: „Ich kann mir bis auf meinen Autounfall nichts vorwerfen.“, sagt er heute und dass er noch 100 Jahre alt werden will.
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- Fun Fact 1: Maier macht seinen Frieden mit den Bayern, geht doch wieder zu den Heimspielen und ist von 1994 bis 2008 Torwarttrainer.
- Fun Fact 2: Sein Retter Uli Hoeneß wird vom Schicksal belohnt und überlebt als einziger im Februar 1982 einen Flugzeugabsturz