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Was Kindern den Spaß am Fußball wirklich verdirbt

Die Zustände an Sportplätzen erschweren nicht nur den Vereinen die Nachwuchsförderung

Foto: privat

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Die Deutschen sind ein Reitervolk. Vier Gold- und eine Silbermedaille bei den Olympischen Spielen haben das wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Auch mit Booten, Kanu und Kajak sind wir traditionell schnell unterwegs. Karl May hat auch im Sport seine Spuren hinterlassen. Ziehen wir diese Medaillen ab, sieht die ohnehin schon viel kritisierte Bilanz noch etwas ärger aus.

„Können die Deutschen sich nicht mehr quälen?“, fragen sich die echten Sportexperten unter den Journalisten und Politikern. Auch ohne nähere Kenntnisse der Materie schreiben sie mit erhobenem Zeigefinger das Märchen vom Volk der Leistungsunwilligen weiter.

Natürlich muss auch die (sinnvolle) Reform der Bundesjugendspiele als Argument für das fast kollektive Versagen herhalten, auch wenn die meist von Kindern absolviert werden. Ein besonderes Beispiel der Ahnungslosigkeit lieferte der hessische Kultusminister Schwarz, als er es im Interview mit dem stets gut informierten Deutschlandfunk-Reporters Maximilian Rieger schaffte, in zehn Minuten nicht eine Frage zu beantworten.

Zumindest nicht richtig. Der Mann trägt den Titel Studienrat. Müssen wir uns Sorgen machen, was unseren Kindern in den Schulen widerfahren kann? Offensichtlich! Und das nicht nur im Sportunterricht.

Bundesjugendspiele - Kultusminister Schwarz fordert Reform
Wettbewerb statt Wettkampf - diese Veränderung gibt es bei den Bundesjugendspielen seit einem Jahr. Kultusminister Schwarz fordert mehr Leistung.

Auch bezüglich des Kinderfußballs schwadronierten innovationsferne Menschen über die drohende Einführung eckiger Bälle, damit die Schwächsten beim Spiel auch mitkommen. Mal davon abgesehen, dass es dann Würfel wären, würden die Leistungsstärkeren sicher auch diese besser beherrschen.

Aber um Logik geht es nicht, schon gar nicht um Fakten. Vielmehr steht die Diskreditierung von sinnvollen sportlichen Reformen im Fadenkreuz.

Ob diese greifen, werden wir spätestens bei den Olympischen Spielen 2036 in Indien oder bei der Fußball-WM 2034 in Saudi-Arabien sehen. Und auch dann wissen wir nicht verlässlich, woran Erfolg oder Niederlage wirklich liegen.

Was wir allerdings mit Gewissheit sagen können: Je mehr Kindern wir den Spaß beim Sport rauben, desto weniger stehen später zur Verfügung. Wobei es um Mathe in unserem Land ja auch schlecht steht.

Wichtiger als das nervige „Früher war alles besser“ wären andere Dinge. Die zwar niemand anzweifelt, die aber trotzdem nicht umgesetzt werden. So bräuchte es eine sportliche Infrastruktur, die den Namen verdient.

⬇ Wenn Kinder in der Schule vor Ekel nicht aufs Klo gehen, kann keine Leistung entstehen.

⬇ Wenn die Schulturnhalle gesperrt ist, ist der Ofen im wahrsten Sinne des Wortes aus. Dann hat das Handy endgültig gesiegt.

⬇ Wenn junge Fußballer verschwitzt nach Hause fahren müssen, weil die Duschen am Sportplatz wegen Legionellen gesperrt sind, fördert das nicht den Spaß am Sport.

⬇ Wenn Mädchen nicht duschen, weil sie über den Flur an feixenden Männern vorbeimüssen, werden sie nicht lange dabei bleiben.

Deutschland hält sich für eine Sportnation. Aber die Rahmenbedingungen, die Politik und Verwaltung (nicht) schaffen, werfen uns international immer weiter zurück. Wo sind eigentlich die ambitionierten Sportpolitiker, die glaubhaft eine Wende zum Besseren erzwingen wollen? Bitte melden! „Leistung muss sich wieder lohnen“, wird doch so gern postuliert. Neben Ex-Studienrat Schwarz muss es doch noch Kompetenz geben!

Also nicht in allen Parteien: Werden die Remigration-Fantasien einiger Rassisten eines Tages Wirklichkeit, wird der deutsche Sport endgültig in der Bedeutungslosigkeit enden. Musiala, Tah oder Rüdiger stünden nicht mehr zur Verfügung. Leo Neugebauer, Maleika Mihambo und Yemisi Ogunleye übrigens auch nicht. Unser FC Internationale Berlin würde seine Mitgliedschaft gleich mal halbieren. Aus Vielfalt würde oftmals Einfalt.

Zurück zu konstruktiven Menschen: Zu Sportlehrern und Trainern. Immer wieder wird beklagt, wir hätten zu wenige Leute mit entsprechender Ausbildung, was nicht in Abrede zu stellen ist. Nur warum ist das so? Ekeln die sich auch vor Toiletten und Legionellen?

Wahrscheinlich ja, aber das dürfte nicht der Grund sein. Vielmehr ist es heutzutage schwierig, sich die Zeit für zweimal oder dreimal Training herauszuschneiden, wenn man als Student seine Wohnung bezahlen muss, für das Amt des Coaches aber gerade mit 100 Euro abgespeist wird. Im Monat!

Wenn man dann noch selbst spielt und am Wochenende Fortbildungen machen soll, ist das Gesamtpaket nicht wirklich attraktiv. Da haben wir über die Ansprüche ahnungsloser Eltern der betreuten Nachwuchskicker noch nicht gesprochen.

Schulsport und Jugendfußball gehören aufgewertet. Wir müssen endlich die vielen Chancen ergreifen, die der Sport bietet. Nach den Ferien werden in den Ballungsräumen wieder Hunderte von Kindern vor der Tür der gut geführten Vereine stehen – und können nicht aufgenommen werden. Weil es zu wenig Sportstätten, Sportlehrer und Übungsleiter gibt.

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Marode Sporthallen, fachfremde Lehrkräfte und viel Unterrichtsausfall. Der deutsche Schulsport steckt in einer tiefen Krise. Für eine Verbesserung braucht es vor allem mehr gesellschaftliche Wertschätzung für das Fach.

In einigen Gebieten droht in Kürze die Ganztagsschule. Vereine haben Angst, dass die Kinder nicht mehr rechtzeitig zum Training kommen können. Das mag übertrieben sein, aber eine Umstellung wird es brauchen. Innovationen sind meistens nicht beliebt, auch im Fußball nicht.

Sinnvoll wären Kooperationen zwischen Vereinen und Schulen. Wer aber organisiert die? Die Vereine im Ehrenamt? Mit Sicherheit nicht. Politik, Verwaltung und Verbände sind gefragt, funktionierende Konzepte zu entwickeln. Ein bescheidener Hinweis aus langjähriger Erfahrung: Nehmt Leute von der Vereinsbasis dazu. Lieber mehr als zu wenige. Denn die wissen, wie es in der Praxis aussieht und können helfen (teure) Fehler zu vermeiden.

Ich höre schon den Einwand: „Die Staatskassen sind leer!“ Stimmt, zumindest wenn man Finanzpolitik so betreibt, wie es traditionell geschieht. Und wenn die Politik nicht bereit ist, die Prioritäten zu Gunsten der Kinder und Jugendlichen – also unserer Zukunft – zu verändern. Wer also soll das bezahlen? Da weite Teile der Wirtschaft sich für effektiver (und oftmals auch klüger) als die Politik halten, sollten sie mit strahlenden Beispielen vorangehen.

Ich kann mir so viele gute Dinge vorstellen, die sich aus innovativen Allianzen zwischen Vereinen, Schulen und Wirtschaft ergeben könnten. Ernsthaft Interessierten würde ich diese Ideen sogar mitteilen und bei Bedarf Verstärkung aus anderen Vereinen mitbringen.

Vereinstalk #9: Wie Vereine junge Leute fit für die Zukunft machen könn(t)en
Im Vereinstalk stellt Gerd Thomas “seinen” FC Internationale Berlin und eine Idee vor, wie sich Jugendlichen über den Sport wichtige Soft Skills vermitteln ließ

Arbeitnehmer haben ein Interesse an belastbaren und zuverlässigen Fachkräften. Das haben sie mit Fußballvereinen gemeinsam. Was liegt also näher, als sich zusammenzusetzen und den Standort Deutschland zu stärken? Für die Wirtschaft und für den Sport. Eine Win-Win-Situation, wie sie das Land dringend bräuchte. Dann wird es künftig auch was mit Zusammenhalt.

Vielleicht sogar mit mehr Medaillen.

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