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VfB Stuttgart im Normalbetrieb

Warum Prag nicht Madrid ist und Hoffenheim nicht Borussia Dortmund

VfB-Tor mit Verzögerung. Foto: Imago / Nordphoto
VfB-Tor mit Verzögerung. Foto: Imago / Nordphoto

Inhaltsverzeichnis

Am Sonntag den Sohn, den besten aller Männer one way und für mehr als unbestimmte Zeit ans andere Ende der Welt verabschiedet und stimmungsmäßig irgendwo zwischen härtester Vermissung und größtmöglicher Gönnung – letzteres freilich klar überwiegend nicht zuletzt deshalb, weil es hierzulande ja nun beständig immer weiter den Bach runter beziehungsweise darum geht, es eben nur möglichst langsam und in möglichst verträglicher Dosis den Bach runter gehen zu lassen. So langsam, dass man es gar nicht so richtig und unmittelbar merkt, und dass es möglichst immer "den anderen" schlechter geht, einem selbst aber nicht.

Entsprechend dieser allgemeinen Depression kursieren bereits seit Monaten CDU-nahe Namenslisten für ein Schatten- oder Krisenkabinett mit Gestalten wie Spahn, Dobrindt, Klöckner und Bär – eine Truppe, die frei nach dem ehemaligen und sehr stoffeligen VfB-Stuttgart-Sportchef Michael Reschke als "ahnungslose Vollidioten" zu bezeichnen geradezu ein galoppierender Euphemismus wäre.

Stuttgarter Spezialität: Dortmunder Demütigung

Apropos Stuttgart: Nach dem trotz Niederlage großartigen Auftritt in der Champions League im Estadio Santiago Bernabéu, dem besten, quasi der Endstufe aller Fußballstadien, und der kurz darauf folgenden 5:1-Demütigung der Dortmunder Borussia muss der VfB langsam in den Normalbetrieb finden.

Man spielt ja nun nicht immer innerhalb weniger Tage gegen beide Finalisten des letzten Champions League-Finales, man spielt den amtierenden Sieger nicht immer über weite Strecken in dessen eigenem Stadion her, und man demütigt den unterlegenen Finalisten auch nicht alle Tage. Wobei die Dortmunder zu demütigen sich zuletzt als eine echte Stuttgarter Spezialität herauskristallisiert hat. Darf ruhig so bleiben, meinetwegen.

Den misslungenen Saisonauftakt beim Freiburger Sportclub können wir hier getrost ausklammern, denn da waren die Jungs, diese phantastischen Jungs wohl einfach noch zu müde zum Kicken. Jeder kennt es doch, wenn die Kinder Mannschaftssport machen und mal früh morgens ranmüssen und die Niederlage kassieren, ohne überhaupt richtig in Gang zu kommen, weil die anderen halt wach waren und unsere nicht.

Normalbetrieb, das sind Spiele wie in Wolfsburg oder jetzt gegen Hoffenheim. Spiele, die "nichts Besonderes" sind. Gegen Mannschaften, die sich den VfB jetzt lang genug anschauen konnten und einen Plan haben, wie zu agieren ist. Im Bezahlfernsehen würde man wohl sagen, die Gegner haben uns dechiffriert.

Und wenn diese Mannschaften dann keine haarsträubenden Fehler machen, dann wird das eben alles sehr mühsam mit den Toren vorne. Und wenn wir die haarsträubenden Fehler selbst machen, dann wird das eben auch schwierig mit den Toren hinten.

Auch das Spiel in der Champions League gegen Sparta Prag, das erste CL-Heimspiel seit fast 15 Jahren, gehört eher in die Sektion Normalbetrieb. Denn hey – Prag ist nicht Madrid und auch nicht der BVB, Prag ist eher sowas wie Bratislava, nicht der ganz große Name, aber doch ein schwieriger Gegner, den zu besiegen es einer durchweg starken Leistung bedarf, alle 100 Prozent, alles raushauen und reinlegen usw.

Und das jetzt zwei- bis dreimal pro Woche abzurufen, reisen, essen, schlafen, alles reinlegen, reisen, essen, schlafen, alles raushauen, kaum mehr Training dazwischen, kaum mehr Zeit zur Erholung – das wird uns kosten, das ist sicher. Es wird so viel kosten, dass die Energieleistungen bis zur 99. Minute auch mal ausbleiben werden, dass wir nicht mehr immer von neuem mit toller Moral und vollem Einsatz noch irgendwie ausgleichen. 

Desaströser Downfall trotzdem unwahrscheinlich

Und doch ist es gut, wie es ist. Natürlich ist es gut. Denn die Mannschaft hat trotz höchster Belastung fast immer einen Plan. Und es gibt immer Spieler auf der Bank, die eingewechselt werden können, ohne dass dann alles durcheinandergeht, auseinanderfällt. Sie hat darüber hinaus eine Kurve, die sie bedingungslos unterstützt – eine Tatsache, die die Jungs sichtbar zu schätzen wissen. Und so gut wie die Chemie zwischen Mannschaft und Kurve scheint auch die Chemie innerhalb der Mannschaft inkl. den sportlichen Verantwortlichen zu sein.

Ein Hoch auf unseren Hoeneß, ein Hoch auf unseren Wohlgemuth, ein Hoch auf alle, die es möglich machen und möglich gemacht haben, dass diese Truppe trotz schwarzer Mamba und weiteren Giftspritzern in der Teppichetage ungestört arbeiten und zusammen Spaß haben kann. Und auch wenn die Anhänger des VfB Stuttgart ursprünglich größenwahnsinnige Euphoriker sind, die aber seit der letzten Meisterschaft – und hier springen wir thematisch wieder zurück zum Anfang – im Rahmen einer viele Jahre währenden, erst ganz langsamen und dann immer schneller werdenden Abwärtsbewegung zu beinharten Masochisten umgebildet wurden: Das mit den Extremen kriegen wir jetzt auch noch hin. Denn mittlerweile wissen wir, wo wir herkommen.

Für diese Erkenntnis brauchen wir keinen Bruno Labbadia mehr. Wir werden nicht Meister, noch nicht. Und das Champions League-Finale am 25. Mai 2025 in München erreichen wir auch nicht (obschon einige Nasen sich da längst Hotelzimmer gebucht haben). Aber es macht weiterhin fast immer Spaß, dem VfB zuzuschauen, es gibt guten Fußball und vollen Einsatz zu sehen, ein desaströser Downfall ist nicht zu erwarten. Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ja wohl mehr als genug. Für den Moment.

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