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Vertane Möglichkeiten im Jugendfußball

Viele Erzeuger der kleinen Ballkünstler sind immer noch nicht überzeugt von der DFB-Reform, wohl aber von ihrem eigenen Kind

|19. April 2025|
Fußball, Saison 2024 2025, U17, U 17 DFB-Nachwuchsliga, Vorrunde, Gruppe D, Hamburger SV - Eintracht Braunschweig. Linus Bröger (BTSV, l.), Louis Lemke, Ismaila Djamanca (HSV. v.l.). Norderstedt Schleswig-Holstein *** Soccer, 2024 2025 season, U17 DFB Youth League, preliminary round, Group D, Hamburger SV Eintracht Braunschweig Linus Bröger BTSV, l , Louis Lemke, Ismaila Djamanca HSV v l Norderstedt Schleswig Holstein
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IMAGO/Hanno Bode

Inhaltsverzeichnis

Über die Machenschaften im deutschen Jugendfußball könnte man eine ganze Buchreihe schreiben, nicht zuletzt über Scouts, übermotivierte Eltern und Trainer. Dennoch werden wesentliche Dinge fast nie betrachtet, z. B. den Ausschluss ganzer Gruppen vom Geschehen. 

Wie verhindern wir den Verlust vermeintlicher Talente schon in frühen Jahren? 

Für den Kinderfußball wurde mit einer Reform des DFB ein erster Schritt gemacht. Der Spaß steht Vordergrund, nicht nur Siege oder Meisterschaften bei den Kleinen. Ziel ist es, dass alle Kinder mitspielen, denn viele spätere Spitzenspieler entwickeln sich erst als Jugendliche. 

Allerdings gibt es Widerstand. Viele Erzeuger der kleinen Ballkünstler sind immer noch nicht überzeugt von der Reform, wohl aber von ihrem eigenen Kind. Ausgerechnet Hans-Joachim Watzke, der oberste deutsche Fußball-Funktionär, kann sich mit den Veränderungen nicht anfreunden. Auch sein Freund Friedrich Merz hat Schwierigkeiten damit, im hohen Alter wird man eben nicht flexibler. Wahrscheinlich haben die beiden das Konzept nicht richtig verstanden. 

Oder gar nicht gelesen. Glücklicherweise konnten Fachleute aus dem Jugendfußball die Neuerung durchsetzen. Vielleicht hilft der neue Sport-Staatsminister den in die Jahre kommenden Altvorderen, die Entwicklungen richtig einzuordnen. Gleichwohl werden die Veränderungen die vielen selbst ernannten Talentscouts nicht aufhalten, ihr Unwesen am Spielfeldrand zu treiben. Ihr aggressives Abwerben und Umgarnen stolzer Eltern führt zwar nicht zu einer besseren Entwicklung der Kinder, füllt aber den Geldbeutel, denn oftmals bieten diese zwielichtigen Gestalten gleichzeitig ihre Beratungsdienste an, um das Kind zum Profi zu machen. Ganz ehrlich: Man müsste diese Typen mit einer speziellen Warnweste ausstatten, damit alle schnell einen Bogen um sie machen. 

Jugendfußball: Was gleichzeitig kaum diskutiert wird

Kinder aus finanziell benachteiligten Familien haben es schwer, überhaupt in Vereine zu kommen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie weniger fußballerisches Potenzial haben. Doch in den Ballungsräumen sind die Wartelisten bei beliebten Vereinen lang. Familien aus gut vernetzten Kreisen können ihre Kinder leichter unterbringen. Im Zweifel wirkt man als Sponsor oder winkt mit Spenden, da werden die meisten Jugendleiter schwach. Familien mit weniger Geld haben diese Möglichkeiten nicht. Die Folge: Ihre Kinder bleiben draußen.

Viele von ihnen dürften eine familiäre Zuwanderungsgeschichte haben. Der fast ausschließlich weiße Sachverständigenrat Migration hat ein paar interessante Erkenntnisse veröffentlicht, leider fehlen Angaben zum Sport. Der DOSB hat vor einigen Jahren Zahlen zu Kindern in Sportvereinen erhoben: 65 % ohne Migrationshintergrund stehen nur 54 % mit Zuwanderungsgeschichte gegenüber. 

Die Kluft beträgt immerhin mehr als 20 %. Der Integrationsmotor Sport müsste dringend zur Inspektion, will er so geschmiert laufen, wie gern behauptet wird. Im Jahr 2020 lag die Armutsgefährdungsquote von Kindern mit Migrationshintergrund bei 29,3 %, während sie bei Kindern ohne Migrationshintergrund bei 10,5 % lag. Das zeigt, dass viele sich den Eintritt in den Sport schlicht nicht leisten können – neben Mitgliedsbeiträgen kosten auch Sportkleidung und Trainingslager Geld. Obwohl es die Möglichkeit von staatlichen Zuschüssen gibt, werden diese kaum genutzt. In Berlin beantragen bspw. nur etwa 7 % der berechtigten Kinder und Jugendlichen die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) für den Sport. Es wäre interessant zu hören, wohin der Rest des Geldes geht. 

Wer den Amateurfußball stärkt, stärkt die Demokratie!

So das Motto unserer Hartplatzhelden-Amateurfußball-Konferenz am 23.05. . Mein Kollege Younis Kamil, Vorsitzender des Amateurvereins Al Hilal Bon und Mitgründer der Organisation „Roots- against Racism“, auf Folgendes hin: „Der demografische Wandel verändert nicht nur die Gesellschaft – sondern auch den Sport: Immer weniger junge Menschen. Immer mehr mit familiärer Einwanderungsgeschichte. Und mittendrin: Sportorganisationen, die noch immer mit „altbewährten“ Strukturen arbeiten. Was bedeutet das konkret? Weniger Kinder = weniger Talente.“

In ländlichen Gebieten stellen sich die Probleme so dar: Oft fehlen Jugendteams vor Ort, es werden Spielgemeinschaften gegründet. Das Training findet dadurch oftmals mehrere Kilometer vom Wohnort entfernt statt. Öffentliche Verkehrsmittel fahren unregelmäßig oder gar nicht, für ein Auto haben arme Familien kein Geld. Also fällt die Möglichkeit zur Teilnahme am Sport aus. 

Zudem sind in Ballungsräumen eher Vereine mit gelebter interkultureller Kompetenz erreichbar, was die Integrationsbemühungen auf dem Dorf nicht schmälern soll. Zumal auch in Flächenländern wie Hessen oder Baden-Württemberg wie in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen) der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei rund 40 % liegt. Nur in den ostdeutschen Bundesländern ist er mit rund 12 % immer noch gering, wie der Kurzbericht der Bundeszentrale für politische Bildung aufzeigt. Auch wenn das Thema nicht zu pauschal betrachtet werden darf: Wir brauchen Veränderung. 

Was können wir tun?

  • Mehr Sportplätze bauen
  • Mehr Menschen mit Zuwanderungshintergrund in die Gremien
  • Partizipationsmodelle für Kinder und Jugendliche
  • Solidarmodelle aufbauen: Gut situierte zahlen für arme Menschen mit
  • Verlässliche Fahrgemeinschaften auf dem Land etablieren
  • Beratung bei der Einreichung von Förderanträgen 
  • Vereine bieten Unterstützung (z. B. Nachhilfe) an
  • Förderung sozialer Arbeit in Vereinen (eine uralte Forderung von mir)

Der DOSB plant, die Olympischen Spiele 2040 oder 2044 auszurichten, und führt dazu den sogenannten „Goldenen Plan“ für den Ausbau von Sportstätten an. Doch wichtiger wären zwei Aspekte, die kaum Beachtung finden: Nachhaltigkeit und Teilhabe.

Neben Maßnahmen gegen die zunehmenden Hitzetage im Sommer, auf die der organisierte Sport bisher keine wirklichen Antworten hat, sollten wir der sozialen Nachhaltigkeit mehr Aufmerksamkeit schenken. Wenn im Spitzensport nur noch Menschen nach oben kommen, die es sich leisten können, ist das weder für den Fußball noch für andere Sportarten förderlich. Das schadet auch der Aussicht auf mehr Titel, die oft als Argument genannt werden.

Was wären effektive Lösungsansätze?

Meines Erachtens verspricht die Förderung des Schulsports deutlich mehr Erfolg als eine Olympiabewerbung. Es wäre sinnvoll, Modelle zu entwickeln, bei denen Vereine vor Ort die Nachmittagsbetreuung oder sogar ausgefallene Sportstunden übernehmen – idealerweise in Zusammenarbeit mit regionalen Spitzenclubs. So könnten alle Kinder in der Breite gefördert werden, Talente frühzeitig erkannt und gezielt gefördert werden. Themen wie Ernährung, passende Sportkleidung, Handynutzung sowie die Vermittlung sozialer und digitaler Kompetenzen sollten ebenfalls integriert werden.

Unternehmen könnten von einer solchen stärkeren Einbindung junger Menschen profitieren, da sie dadurch besser ausgebildet werden. Folglich sollten sie als Förderer solcher Projekte auftreten. Mehr sportliche Betätigung macht Menschen resilienter und sozial kompetenter – und das kommt uns allen zugute, nicht nur der Wirtschaft.

Da die Politik diese Ansätze bisher weitgehend eingestellt hat, müssen die Lösungen von anderer Seite kommen – vor allem von den Vereinen. Solidarmodelle sind momentan vielleicht nicht im Trend, aber sie sind dringend notwendig. Am Ende könnten solche Maßnahmen sogar zu mehr Titeln und Medaillen führen. Zu mehr Zusammenhalt sowieso.