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Toni Rüdiger hat "töten" gesagt - darf man das?

Abwehrchef in Verteidigungshaltung: Ein daher geredetes Wort überschattet seine herausragende Leistung beim 2:0 im EM-Achtelfinale gegen Dänemark

Toni Rüdiger macht Faxen. Foto: Imago / Rene Schulz
Foto: Imago / Rene Schulz

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Ein einziges Wort kann dir das Wochenende versauen. Die Freude über das 2:0 gegen Dänemark. Die herausragende Abwehrarbeit. Die Auszeichnung zum Spieler des Spiels. Den Einzug ins EM-Viertelfinale. Antonio Rüdiger hat das Partizip Perfekt von „töten“ bei seiner Einschätzung zum Spiel verwendet. Im ganzen Satz: „Was wir kritisieren können, ist: dass wir sie nicht schon früher getötet haben.“

Sie - die Dänen.

Fußballfans kennen den absurden Wortschatz vom Bolzplatz und damit den Zusammenhang: Dort „vernichtet“ man Gegner, setzt „Blutgrätschen“ an und „killt“ Flanken. Wirklich niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, würde hier Tötungsabsichten unterstellen. Natürlich auch Toni Rüdiger nicht. Aber darf ein deutscher Nationalspieler vor laufender TV-Kamera von „töten“ sprechen?

Ganz ehrlich: Ich war erschrocken, als ich den Abwehrchef den Satz sagen hörte. Nicht weil ich ihn missverstehen möchte, wie das zu viele Dummköpfe in Sozialen Netzwerken gerne tun. Nein, aus einem anderen Grund: Ich habe sofort überrissen, wie man ihm den einen Satz auslegen wird. Wegen seines Zeigefingers hat Antonio Rüdiger ja eine Vorgeschichte.

Im März hat er seinen zehn Millionen Fans auf Instagram eine religiöse Grußbotschaft geschickt und den Zeigefinger seiner rechten Hand Richtung Himmel ausgestreckt. „Möge der Allmächtige unser Fasten und unsere Gebete annehmen“, schrieb Rüdiger Aufmunterndes zum Ramadan. Nix Himmel: Danach war die Hölle los. Seine Geste ist inzwischen ein Fall für den Staatsanwalt. 

Der rechte Faktenjongleur Julian Reichelt, früher Bild-Chefredakteur, legte ihm den Zeigefinger öffentlich in Videos und Textbeiträgen als Hinweis auf Islamismus-Nähe aus. Ein unverschämter Vorwurf. Rüdiger war außer sich und stellte Strafanzeige. Der Tauhid-Finger, im Islam harmloses Glaubensbekenntnis wie bei Christen das Bekreuzigen, spaltete plötzlich das Land.

Nun das Wort „töten“. Man wartet fast stündlich darauf, dass Leute wie Reichelt die Gelegenheit für ihre nächste Müllabsonderung nutzen. Antonio Rüdiger, 31 Jahre alt und geboren in Berlin, Innenverteidiger bei Real Madrid und Champions-League-Sieger mit Toni Kroos, kann machen, was er will: Das rechte Lager sieht immer Böswilliges in ihm. Das ist, mit Verlaub, zum Kotzen.

Antonio Rüdiger bringt alles mit, was wir uns für den deutschen Abwehrblock wünschen. Er schmeißt seinen Körper in jeden Schuss, obwohl er unter der Woche einen Faserriss auskurieren musste. Er treibt Nebenleute wie Nico Schlotterbeck zu Höchstleistungen im eigenen Strafraum, wenn sie Abspielfehler verdauen müssen. Er ist die größte Führungsfigur vor Manuel Neuers Tor.

Ja, manchmal ist er durchgeknallt. Im Dänemark-Spiel, fast zum Schluss, grätschte er wieder einen Angriff weg und schleuderte vor Freude seine Arme durch die Luft - wie ein Rocksänger: wild und ungezähmt, aber auf dem Rücken liegend. Einmal wollte er den Ball ungebremst aus der Gefahrenzone ballern, verlor das Gleichgewicht und drehte ein halbes Dutzend Neymar-Rollen.

Vielleicht unnötig - aber es brachte wertvolle Sekunden zum Verschnaufen. So ist Rüdiger: von den Füßen bis zum Zeigefinger voller Leidenschaft. Hinterher ist er ganz anders. Nach Abpfiff kniet er auf dem Rasen, kehrt in sich und dankt Gott für 90 Minuten Leistungssport. Eine so mannigfaltige Persönlichkeit im Abwehrbereich hatte Deutschland vermutlich seit Franz Beckenbauer nicht mehr.

Oder wie die spanische Zeitung Marca nach einer Galavorstellung gegen die norwegische Tormaschine Erling Haaland formuliert hat: „Der größte Verrückte des Weltfußballs hielt wieder einmal eine Verteidigungsvorlesung für den trockenen Haaland.“ Im Ausland wissen sie seine Abwehrleistungen meistens überschwänglicher zu schätzen als wir hierzulande.

Kommen wir auf die Ausgangsfrage zurück: Darf er trotzdem von „töten“ sprechen? Natürlich nicht. Man kann jetzt zur Entschuldigung Herleitungen zu seiner Alltagssprache Englisch anstellen und der Übersetzung „kill“ weniger Bedeutung beimessen, weil es so ähnlich klingt wie „chill“. Aber das ist Unsinn. Man muss es genau so sagen dürfen: Rüdiger hat Unsinn geredet. 

Das passiert und ist nichts Schlimmes. Mir ist ein Fußballer, der das verabredete Wortprotokoll verlässt und verbal über die Stränge schlägt, tausendmal lieber als eine Sprechpuppe ohne Sendungsbewusstsein. Wir dürfen nur nicht zulassen, dass die Rechtsausleger im Land aus einem Sturm im Wasserglas einen Ozean aufstauen. Den Rest übernimmt der Staatsanwalt.

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