Aktuelle Videos
Sportausschuss für Hinterbänkler
Profi- und Breitensport könnten ein wichtiges Thema für den Bundestag sein. Aber das Ergebnis ist dürftig

IMAGO/Future Image
Inhaltsverzeichnis
Wem sagen diese Namen etwas? Frank Ullrich, Fritz Güntzler, Philip Krämer, Philipp Hartewig, Jörn König, Andre Hahn, Jasmina Hostert, Jens Lehmann, Marcel Emmerich, Bernd Reuther, Klaus Stöber, Bettina Lugk, Stephan Mayer, Tina Winkelmann, Sabine Poschmann, Johannes Steiniger, Christian Schneider, Dieter Stier und Herbert Wollmann.
Fußballinteressierte rufen sofort: „Jens Lehmann!“
Allerdings handelt es sich beim dem hier Aufgeführten nicht um den ehemaligen Nationaltorhüter, sondern wie bei allen anderen Personen um einen Abgeordneter im noch amtierenden Sportausschuss des Deutschen Bundestags. Dem einen oder anderen mag noch der Ausschussvorsitzende Frank Ullrich in Erinnerung sein. Dieser war in den 1970er und 1980er-Jahren Weltmeister und Olympiasieger im Biathlon, startete für die DDR-Nationalmannschaft.
Nach dem Mauerfall wurde er von mehreren DDR-Athleten beschuldigt, bis 1989 als Trainer am DDR-Staatsdoping beteiligt gewesen zu sein. 2009 attestierte ihm eine Untersuchungskommission des Deutschen Skiverbandes in Sachen Doping einen „unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus“ (Quelle: Wikipedia). Das Gutachten, das sogar von seinem Koalitionspartner gefordert wurde, hat er entgegen allen Versprechungen bis heute nicht vorgelegt.
Sportausschuss erreicht zu wenig
Wird der neue Sportausschuss erneut zu einer Gruppe unbekannter Hinterbänkler? Der aktuelle Ausschuss hat wenig für Spitzenathleten und noch weniger für den Breitensport erreicht. DFB-Präsident Bernd Neuendorf (SPD-Mitglied und ehemaliger NRW-Staatssekretär) beklagte im Interview mit Zeit online: „Ich bin in fast jedem Ministerium vorstellig geworden. Man rennt von Pontius zu Pilatus!“ Sport hat in der politischen Prioritätensetzung den Namen dieser Kolumne: GANZ UNTEN!
Warum das so ist, soll an anderer Stelle erörtert werden, beispielsweise bei der Amateurfußball-Konferenz der Hartplatzhelden im Mai. Auch in den Medien sollte das Thema öfter behandelt werden, nicht nur im Deutschlandfunk. Zeitungen, TV und Onlinedienste liefern überwiegend Ergebnis-Journalismus; nur wenige Seiten gehen tiefer.
Interviews mit Sportpolitikern sind rar. Viele Redaktionen sind aufgrund der Marktmacht amerikanischer Konzerne ausgedünnt, auch weil inzwischen weniger als 50 Prozent aller Werbeeinnahmen in Deutschland bleiben.
Vorurteile gegen den Amateurfußball
Engagierte Berichterstattung über Breitensportvereine findet sich kaum in den Medien. Zwei Ausnahmen gibt es: Wird ein Verein mit einem Preis ausgezeichnet, kann es zu einer größeren Würdigung kommen. Und natürlich wird berichtet, wenn es bei einem Kreisligaspiel Ausschreitungen gab. Das wird dann gern zum Anlass genommen, alle Vorurteile gegen den Amateurfußball auszupacken und erinnert mit seinen Stereotypen an die nervtötende Migrationsdebatte.
Ich wünsche mir, dass wir in den nächsten vier Jahren einen neuen Umgang mit dem Sport finden. Im Bundestag und in anderen Parlamenten sollten Menschen in die zuständigen Ausschüsse entsendet werden, die echte Leidenschaft für den Breitensport mitbringen und die positiven Auswirkungen für Gesellschaft und Volkswirtschaft erkennen. Diese sollten sich dafür einsetzen, dass der Sport aktiv zur Förderung von Gesundheit, Zusammenhalt, Integration und Demokratie genutzt wird.
Übrigens: 28 Millionen Menschen sind in einem Sportverein, mehr als 2 Millionen engagieren sich ehrenamtlich. Sie sind es allemal wert, dass ihre Arbeit durch ehrliche Wertschätzung und eine stärkere politische Vertretung anerkannt wird. Ganz zu schweigen davon, dass viele von ihnen auch wahlberechtigt sind.
Beim Ringen um das neue Billionenpaket kommt der Sport jedoch kaum zur Sprache. Ein Sportministerium ist nicht in Sicht. Wer hätte anderes erwartet? Natürlich müssen Brücken, Schulen und Bahnhöfe saniert werden – das wurde in den letzten 20 Jahren genauso vernachlässigt wie die Instandhaltung von Breitensportstätten. Doch während man in Berlin schon frohlockt, man könne nun endlich die Komische Oper, immerhin das dritte Haus am Platze, fertigstellen, hört man vom und über den Sport mal wieder – nichts!
Ein fataler Trend bei Ehrenamtlichen
Während die Zahl der Vereinsmitglieder steigt, sinkt sie bei den Ehrenamtlichen. Ein fataler Trend, den die Politik nicht ignorieren darf. Schließlich erlernen junge Menschen in den Vereinen Resilienz, Engagement und Zusammenhalt. Das sind Werte, die auch für die Ausbildungsfähigkeit und Belastbarkeit von späteren Fachkräften wichtig sind.
In den Ballungsräumen werden Tausende von Eltern abgewiesen, wenn sie ihre Kinder in einem Verein anmelden wollen. Grund dafür: zu wenig Sportstätten und ein Mangel an Ehrenamtlichen, die nachmittags um 16.30 Uhr für minimale Aufwandsentschädigungen oder gar für null Euro bereitstehen. Wer glaubt, das Ehrenamt funktioniere noch wie in den 1990er-Jahren, hat den Blick für die Realität verloren! Wer mehr darüber erfahren möchte, ist gerne eingeladen, Kontakt zu mir aufzunehmen.
Ich wünsche mir, dass prominente und leidenschaftliche Politikerinnen und Politiker für den Sportausschuss nominiert werden. Beispiele gefällig?
- Annalena Baerbock, die nicht nur Leistungssportlerin war, sondern auch an der Torwand Talent beweist.
- Hakan Demir von der SPD, der als Neuköllner Abgeordneter wissen dürfte, welch integrative Kraft der Sport entfalten kann.
- Bodo Ramelow, der als ehemaliger Ministerpräsident weiß, wie demokratiestiftend Sport sein kann und die Herausforderungen der Vereine in ländlichen Regionen versteht.
- Armin Laschet, auch wenn die Alemannia aus seiner Heimatstadt Aachen mit schwierigen Schlagzeilen zu kämpfen hat und ein Beispiel dafür liefert, wie wichtig es ist, den Sport vor undemokratischen Kräften zu schützen.
- Friedrich Merz könnte sich als Kanzler für den Sport (und damit für die ihm so am Herzen liegende Wirtschaft) stark machen, auch wenn er erst die aktuellen Kinderfußball-Regeln lernen muss.
Egal, wer letztlich im Sportausschuss sitzt: Namen mit Strahlkraft könnten dabei helfen, die Bedeutung des Sports und der damit verbundenen Chancen für uns alle in den Fokus zu rücken. Dies wäre dringend nötig. Übrigens: Ich wäre sehr überrascht, wenn sich diese Aufmerksamkeit nicht auch positiv auf den Erfolg im internationalen Wettbewerb und den Gewinn von Titeln und Medaillen auswirken würde.