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Olympia: Wieviel Wir dürfen wir?

Der Kolumnist freut sich schon auf die Bundesliga – in Paris wird ihm bei ARD und ZDF zu viel für Deutschland gejubelt

|7. August 2024|
Olympia: Wieviel Wir dürfen wir?
Olympia: Wieviel Wir dürfen wir?

Foto: Imago / Le Pictorium

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Bei den Olympischen Spielen leide ich Höllenqualen. Ja, es ist die bestinszenierte Veranstaltung, die ich je gesehen habe. Leider gilt das auch für den deutschen Fernseh-Sportjournalismus. Der hat schon bessere Tage erlebt. Im Grunde wurde er für Paris 2024 abgeschafft. Ausnahme: Fußball.

Beinahe jede andere Sportart wird in ARD und ZDF inzwischen von Fans moderiert. Oder anders gesagt: journalistisch zu Grabe getragen. „Journalisten“ freuen sich darüber, wenn nicht-deutsche Teilnehmer Fehler machen, sie jubeln aufopferungsvoll mit, wenn deutschen Sportlern etwas gelingt. Sie feuern sie sogar an. Sie sind großzügig, wenn Versagen eintritt.

Einer trieb es auf die Spitze und weinte zweimal vor Glück: Dem ARD-Sportkommentator Carsten Sostmeier taten die Siege der ihm wohl zu nahen Reiter nicht gut – er geriet in einen Goldtränenrausch.

Das kann man lustig und rührend finden. Siehe die Reaktionen auf Twitter-X und Co. – die Zeit, als Journalisten zumindest versucht haben, objektiv zu wirken, ist damit aber endgültig abgelaufen.

Gute Leistungen der „eigenen“ Athleten werden jetzt überschwänglich gefeiert, schlechte kaum mehr klar benannt und hinterfragt, sondern großzügig mit einem „Schade!“ versehen. Als es gestern um Kritik an einem deutschen Speerwerfer ging, dem plötzlich zehn Meter Weite fehlen, wiegelte der ARD-Experte ab: „Da wollen wir gar nicht mit einstimmen.“  

Ich bin froh, wenn ich meine Bundesliga wiederhabe. Hier geht’s noch zur Sache.

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Man muss dazu wissen, dass ich ehemaliger Fußballreporter bin. Für mich war und ist Objektivität ressortunabhängig das A und O und das Z. Ich würde nicht auf den Gedanken kommen, meinem Publikum mitzuteilen, dass ich beim Finale der deutschen 3×3-Basketballerinnen mitgejubelt oder im Studio Freudentänze aufgeführt habe. Ist nicht mein Job, das zu tun.

Es würde mich übrigens auch stören, wenn eine Politikredakteurin der Süddeutschen Zeitung darüber schreiben würde, wie glücklich sie doch wegen des Wahlsieges der FDP sei, und dass sie beim Verfassen ihres Textes öfter innehalten habe müssen, weil Tränen den freien Blick auf die Tastatur beeinträchtigten. Irgendwo hört’s einfach auf.

Beim Sieg der deutschen Hockeyherren gegen Argentinien rutschte dem Kommentator tatsächlich ein „Wir“ bzw. „Uns“ heraus, als er über die deutsche Mannschaft sprach. Er wurde in diesem Moment selbst Teil des deutschen Teams in Paris, der zwölfte Mann sozusagen. Eigentlich das Schlimmste, was einem passieren kann. Er merkte zum Glück schnell, was passiert war.

Als er die Zuschauer sofort darauf hinwies, so etwas gehe natürlich nicht, er habe selbstverständlich die Mannschaft gemeint, sorry; gerade, als er die Kurve kriegen wollte, wurde er von den eigenen Kollegen im Studio eingefangen. Nein, nein, so ein „Wir“ dürfe man schon mal sagen, säuselten dort schwarz-rot-goldfarbene Stimmbänder.

Nein, darf man nicht, auch wenn man selbst mal mitgespielt hat. Aber ist egal, das Kind liegt längst im Brunnen. ARD/ZDF praktizieren in Paris nicht Journalismus, sondern Unterhaltung, das habe ich jetzt auf die harte Tour gelernt. Alles ist auf Freude und Applaus ausgerichtet. Fast wie im ZDF-Fernsehgarten, dem Hinterhof der Schlagerhölle.

Kritische Auseinandersetzung und Fehlersuche findet in Paris trotzdem statt: Wenn ausländische Athleten die Erwartungen nicht erfüllen, wird gefeixt, gebohrt, hinterfragt. Denn ARD/ZDF sitzen nur mit deutschen Sportlern in einem Boot, und sie ziehen die Zuschauer mit rein.

Doping? Stört nur. Wird auf den tapferen ARD-Experten Hajo Seppelt abgeladen. Soll der sich doch die Hände schmutzig machen.

Platz zehn im Medaillenspiegel, Desaster? Egal, hol‘ mal einer die Luftschlangen.

Einigkeit und Recht und ARD und ZDF.

Aber. Jetzt kommt‘s: Den Zuschauern gefällt das. Meine private Umfrage ergab:

  • „Ich liebe die gute Stimmung, die verbreitet wird.“
  • „Objektivität ist mir egal.“
  • „Ich mag es, wenn die mitjubeln, ist doch schön.“
  • Und überhaupt, „ist ja bloß Sport“.

Ich kriege bei diesen Übertragungen auch Gänsehaut, nur aus anderen Gründen. Ich schäme mich fremd. Ich möchte selbst entscheiden, wann und über wen ich mich freue. Mir reicht es, wenn Sportler und Zuschauer durchdrehen vor Glück; ich brauche Leute am Mikro, die kühlen Kopf bewahren.

Wie die vielgehasste ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann, die im Viertelfinale der Fußballfrauen das Unfassbare tat und immer wieder offensichtliche Schwächen der deutschen Mannschaft glasklar ansprach.

Hoffentlich wird sie dafür nicht gefeuert.  

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