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Nagelsmanns Plädoyer für ein besseres Deutschland

Der Bundestrainer will den Gemeinschaftssinn vom Fußballplatz in die Gesellschaft übertragen.

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Herzogenaurach - Bundestrainer Julian Nagelsmann hat die Nation in einem emotionalen Appell dazu aufgefordert, den Gemeinschaftssinn seiner Fußballer zu übernehmen und in schweren Zeiten zu mehr Gemeinsinn zu finden. Einer ersten Aufforderung dazu folgte ein fast vierminütiges Plädoyer. Nagelsmanns Aussagen im Wortlaut:

"Ich wünsche mir für dieses Land, dass wir verstehen, dass es gemeinsam einfach besser geht. Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig, als wenn er es alleine macht. Wenn wir immer nur in Tristesse verfallen und alles ist grau, alles ist schlecht, dann wird sich keiner verbessern, das gilt im Fußball wie in der normalen Gesellschaft. Wir haben es geschafft, die Menschen zu einen, es gab eine Symbiose zwischen Mannschaft und den Menschen im Land. Ich hoffe, dass wir es nachhaltig hinkriegen, die Symbiose in weit wichtigeren Bereichen fortzusetzen."

Anschließend auf Nachfrage:

"Ich versuche, es kurz zu fassen. Wir leben in einer Zeit, wo jedem das einzelne Posting, sich darzustellen, wichtiger ist, als eine gemeinsame Stunde zu verbringen. Wir waren ewige Zeiten ein Land der Vereine, wo Menschen zusammenkamen und unterschiedliche Dinge gemacht haben - von Fußball- über Musik- oder Trachtenverein, ganz egal. Die Menschen haben sich mehrmals die Woche getroffen und haben gemeinschaftlich richtig schöne Stunden verbracht. Heute ist es manchmal mehr wert, ich stehe an einem Bergsee und mache ein Instagram-Foto, alleine.

Diese Gemeinsamkeit, gemeinsam Dinge zu bewirken, ist extrem wichtig. Dass wir realisieren, in was für einem wunderschönen Land wir leben. Landschaftlich, kulturell. Aber auch, welche Möglichkeiten wir in dem Land haben, wenn wir zusammenhalten, nicht alles immer extrem schwarzmalen und dem Nachbarn nichts gönnen, vor Neid zerfressen sind.

Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der Dinge alleine macht und dann automatisch schneller, besser, weiter kommt, als wenn er es mit jemandem zusammen macht. Das gibt es ganz, ganz selten, dass man etwas alleine für sich macht und ist zwingend erfolgreicher, als wenn man einen Partner hat, der in dieselbe Richtung arbeitet. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Dieses Einen ist simpel übertragbar ins normale Leben. Ich glaube, wenn jeder in seinem kleinen Kreis anfängt, in seiner Straße, dem Nachbarn zu helfen, wenn irgendwas ist - jetzt war gerade wieder extremes Hochwasser, das ist ein Beispiel, wo man sich untereinander unterstützen kann -, und nicht immer sofort das Negative zu sehen, sondern versuchen, sich zu unterstützen, alle Menschen zu integrieren, willkommen zu heißen und ihnen zu helfen, dass sie sich wohlfühlen und die Menschen für sich zu einen, gemeinsam mit einem selbst an einer besseren Zukunft zu arbeiten.

Ich glaube, viele dieser Dinge, die wir als negativ sehen, gehen hier oben los (zeigt sich an den Kopf). Weil wir den Drang dazu haben, sie gerne negativ zu sehen. Man kann ja immer Probleme sehen. Und wir haben Probleme im Land. Aber man kann immer auch einfach von Lösungen sprechen. In sehr vielen Gesprächen, die ich mit Menschen in diesem Land führe, heißt es immer: Ja, wir haben ein Problem. Ich höre selten: Ja, wir haben eine Lösung.

Wir hatten beim DFB auch ein brutales Problem. Aber ich glaube nicht, dass ich hier auf einer PK saß und gesagt habe: Ach, wir haben ein Riesenproblem, hoffentlich kriege ich das hin. Ich habe gesagt: Wir haben Lösungen. Ob die dann klappen oder nicht, das weiß man nicht. Das muss man probieren, Mut haben, Dinge zu probieren. Und wenn es dann nicht klappt - gestern haben auch Dinge nicht geklappt, da haben wir in der Halbzeit reagiert -, dann den Mut haben, was Neues zu machen, neue Entscheidungen zu treffen.

Aber immer zu meckern, zu sagen: Alles ist schlecht, alles ist blöd, alles ist traurig, aber ich bin nicht verantwortlich, es ist der andere, der ist schuld, der Politiker kann nichts und der Politiker kann nichts. Aber das finde ich blöd. Ja, was würden Sie machen? Das weiß ich nicht, da müssen Sie die Politiker fragen.

Wir können alle anpacken, dass es nicht so traurig ist, wie es gerade wirkt. Und nicht alles schwarzgemalt werden muss, wie es schwarzgemalt wird. Zurück zur Gemeinsamkeit, ein bisschen weg von dieser unfassbaren Individualität zu einer geschlossenen Gruppe, die uns gut tut und etwas bringt. Das hat das Fußballturnier gezeigt, aber das Fußballturnier hat nur eine ganz kleine Relevanz für dieses Land. Wir haben viele andere Dinge, die wir so nutzen können, dass das Fußballturnier ein Vorbild dafür ist."


Foto: © AFP/SID/TOBIAS SCHWARZ

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