zum Inhalt

Mesut Özil: Warum er nicht mehr Deutschland schaut

Sein Stadionbesuch mit Präsident Erdogan beim Türkei-Spiel gegen die Niederlande sorgte für großes Aufsehen. Dafür gibt es einen Grund

Foto: Getty / Stu Forster (OneFootball)

Inhaltsverzeichnis

Die Bilder von der Haupttribüne im Berliner Olympiastadion gingen rasend schnell um die Welt. Wir sehen: Mesut Özil, unseren Weltmeister von 2014, direkt eine Reihe hinter dem türkischen Präsidenten Erdogan und dessen Ehefrau. Der Anlass: das Türkei-Spiel gegen Holland (1:2).

Blauer Nadelstreifen, weißes Shirt, die Haare schön: Özil wirkte in der Erdogan-Entourage eher wie ein Familienmitglied als ein Ex-Fußballer. Er hat kein einziges Länderspiel für die Türkei bestritten, aber die Verbundenheit ist offensichtlich. Neben ihm liegt ein roter Schal. Kein weißer.

Die Reaktionen darauf: verheerend. Der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb von einer „Provokation in Berlin“ und NTV von einer „großen Inszenierungs-Show“. Der sonst so sachliche Kicker meinte: „Özil gießt Öl ins Feuer“. Aus allen Schlagzeilen spricht vor allem eines: eine riesige Enttäuschung.

Vor ziemlich genau zehn Jahren war er Teil einer Mannschaft, die Brasilien 7:1 bei der eigenen Heim-WM abfertigte und in Rio leichtfüßig Weltmeister wurde. Alle Nationen beneideten uns um Özil, den genialen Mittelfeldspieler und Vorlagengeber. Er war einer von uns.

92 Länderspiele hat Özil gemacht - alle für Deutschland. Er ist in Gelsenkirchen geboren und inzwischen 35. Heute käme er nicht mehr auf die Idee, ein deutsches Spiel zu besuchen. 2018 hat er mit dem DFB gebrochen und in einer emotionalen Botschaft sogar Rassismus-Vorwürfe geäußert.

Das passte nicht in das Bild, für das Özil stand. 2010 bekam er vom Burda-Verlag den Bambi in der Kategorie „Integration“, weil er Pässe spielte wie kein zweiter und Deutschland stolz machte. Derselbe Özil zeigt heute offen sein Brust-Tattoo mit einem heulenden Wolf und drei Halbmonden.  

Damit verteidigt er Türken, die den Wolfsgruß zeigen, die Geste einer rechtsextremen Verbindung in der Türkei. Erdogan war sein Trauzeuge, als er Amine Gülle heiratete. Zuletzt spielt er für dessen Lieblingsklub Fenerbahce. Und begleitet ihn, wenn die Türkei ein EM-Viertelfinale spielt.

Seitdem frage ich mich: Was hat ihm Deutschland getan, dass er seinem Heimatland den Rücken kehrt? Natürlich kenne ich sein berühmtes Foto vor der WM 2018, als er mit Ilkay Gündogan werbewirksam neben Präsident Erdogan im Wahlkampfmodus posierte.

Die deutsche Öffentlichkeit kannte damals kein Erbarmen mit den beiden Nationalspielern: Man warf ihnen Illoyalität vor. Gündogan reagierte sofort: Er suchte das Gespräch mit dem deutschen Bundespräsidenten Steinmeier, um jeden Zweifel an seinem Zugehörigkeitsgefühl zu beseitigen.

Bei Özil lag die Sachlage anders. Er wollte nicht. Der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel aber ließ ihm keine Wahl: Steinmeier-Besuch oder WM-Aus. Man kann das wahlweise „Optionen“ nennen oder „Erpressung“. Die Druckkulisse war jedenfalls gewaltig.

In einem wenig beachteten FR-Interview erinnerte Grindel vorige Woche an die Zwangslage vor der WM 2018 in Russland: „Hätte Özil allerdings das Treffen mit Bundespräsident Steinmeier abgelehnt, hätte er nicht mit nach Russland fahren können.“

Ich stelle mir die Situation ganz menschlich vor: Du spürst die Verbundenheit zum Heimatland deiner Eltern - und das Land, wo du geboren und aufgewachsen bist, wo du Millionär geworden bist und Weltmeister, verlangt von dir ein Bekenntnis, als gäbe es Zweifel. Sowas entfremdet.

Bei Erdogan stieß er auf mehr Gegenliebe. Der Präsident umschrieb mir seine Haltung mal so: „Özil und Gündogan können sich beiden Ländern zugehörig fühlen. Dem Land, in dem sie geboren sind, und dem Land, aus dem ihre Eltern kommen.“ 

So viel Toleranz brachten die Deutschen beim Fotostreit nicht entgegen. Heißt das Özils unkritische Haltung zu Erdogan und Wolfsgruß gut? Natürlich nicht. Und auch nicht, dass er inzwischen ein serviler Begleiter ist. Die Sachlage ist nur nicht so einfach, wie sie scheint.

Gündogan hat damals die Pfiffe und Kritik ertragen, sich in Interviews erklärt und die Leute mit Leistung überzeugt. 2023 stieg er zum DFB-Kapitän auf - zum ersten mit Migrationshintergrund. Özil hatte weder Kraft noch Geduld zu einem solchen Weg. Das schmerzt noch heute.

Kommentare

Aktuelles