Klimawandel beim Amateurfußball
Schnell behauptet man: Früher war beim Fußball alles besser! Schaut man genauer hin, fällt das Urteil differenzierter aus
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„Früher war alles besser!“ So klingt es, wenn man den Anekdoten vieler Altvorderen beim Fußball zuhört. Der Zusammenhalt, das Niveau der Ligen, das Ehrenamt, selbst das Wetter – alles besser früher.
Klimatisch hat sich zumindest etwas verschoben. Wer auf 35 Grad im Schatten zum Anpfiff steht, kommt heute in der Tat auf seine Kosten. Inzwischen sogar an vielen Wochenenden im Jahr.
Dass kaum eine Sportanlage oder ein Stadion darauf vorbereitet ist, steht auf einem anderen Blatt. Früher sehnten wir in der Schule spätestens zur zweiten Pause nur 25 Grad herbei. Denn dann gab es hitzefrei. Im Winter blieb dafür manchmal der Schulbus stecken.
Tatsächlich fallen nur noch selten Spiele wegen Schneefalls aus. Wobei wir früher trotz der weißen Pracht auch meistens spielten. Die Älteren kennen noch die Bilder aus den 60er und 70er-Jahren, als die Linien auf den weißen Plätzen mit rotem Sägemehl oder Sand markiert wurden. Ich habe diese Spiele immer besonders gern gesehen, denn es passierten fast so lustige Dinge wie durch die Papierkugel im Volksparkstadion.
Die Klimakrise macht Rasenheizungen überflüssig. Auch DFB und DFL werden bald merken, dass diese ökologischen Sünden selbst in den höchsten Ligen nicht mehr nötig sind. Die Herausforderungen haben sich verändert.
In den letzten Wochen gab es wieder vermehrt Klagen, man solle doch die Spielpläne umstellen, weil Fußball um 13 Uhr schlicht gesundheitsgefährdend für Spieler und Zuschauer sei.
Bezüglich des Zusammenhalts kann man geteilter Meinung sein. Auch früher stand nicht immer alles zum Besten. Mancher Alkoholexzess beim oder nach dem Spiel endete im Streit. Oder mit Führerscheinentzug. Das Ehrenamt wurde schon damals meist von wenigen Schultern getragen, war allerdings weniger aufwändig. Auf jeden Fall gab es deutlich mehr Vereinsleben als heute.
Die Zuschauer an den Wochenenden waren ohnehin zahlreicher. Die 305 Besucher neulich beim Regionalliga-Duell zwischen den Berliner Vereinen Altglienicke und Viktoria 89 toppten wir beim Nachbarschaftsderby TSV Apensen gegen VSV Hedendorf in der Kreisliga von 1970 locker. Über die „Choreo“ und die Kommentare am Seitenrand schweige ich besser.
Erst seit rund zehn Jahren dominiert das Smartphone. Per Liveticker können die Zwischenstände von anderen Plätzen verfolgt werden – sofern sie richtig angegeben sind – und zwar ligaübergreifend. Die Tabellen ändert das nicht, wohl aber die Aufmerksamkeit für das besuchte Spiel.
Filme, Fotos, Push-Nachrichten, Emojis im Minutentakt: All das führt dazu, dass es weniger konzentrierte Gespräche gibt, dauernd piept oder vibriert es. Das macht auch etwas mit dem Vereinsleben.
Nicht nur bei jungen Menschen hat man zunehmend das Gefühl, sie können zwar mit zwei Daumen tippen (wenn auch nicht immer fehlerfrei), aber kaum noch mündlich kommunizieren. Zudem schaffen Kurznachrichten nicht selten böse Missverständnisse.
Vereine leben vom Austausch. Wie der Name schon sagt, vereint man sich, macht etwas gemeinsam. Damit ist sicher nicht gemeint gewesen, sich früher Postkarten oder heute Nachrichten per Whatsapp/SMS zu schicken.
Handys sollten zumindest während der Vorbereitung und der Durchführung eines Spiels ausgeschaltet bleiben. Doch wenn selbst millionenschwere Profis Fotos oder Filme aus der Kabine senden, ist dieser Vorsatz natürlich nicht leicht durchzusetzen.
Nähme man vom durchschnittlichen Smartphone-Gebrauch pro Tag nur eine Stunde weg, könnte man sieben Stunden Ehrenamt pro Woche in den Verein einbringen! Bei der durchschnittlichen Dauer der mobilen Internetnutzung liegt Deutschland international noch weit hinten. Wir kommen dennoch auf mehr als zweieinhalb Stunden täglich. Der Verzicht um eine Stunde wäre also weit weniger als die Hälfte. Was könnte man für den Herzensklub mit dieser Zeit alles machen.
Der Fußball selbst war früher mit Sicherheit nicht besser. Wer sieht, wie gut heutzutage schon Jugendliche ausgebildet sind, muss zugeben: Unser Sport hat sich stetig weiterentwickelt. Hinterlaufen kannten wir auch schon in den 80ern, als noch der Libero dominierte und dem Vorstopper gern bei der Vorbesprechung gesagt wurde:
„Der Neuner ist der gefährlichste Mann. Bei dem bleibst du, egal was kommt. Geht der aufs Klo, gehst du mit!“
Auch Spielmacher wurden gern in Manndeckung genommen, im Zweifel von üblen Tretern wie Goicoechea, Siegmann, Jones, Steiner oder Gentile. Im Amateurfußball ließen sich unzählige Pendants finden.
Trainer sind heute viel besser ausgebildet. Torwarttraining mit Medizinbällen in der Weitsprunggrube, wie ich es erfuhr, gehört heute der Vergangenheit an. Hoffe ich zumindest. Das taktische Verhalten ist weit besser, von einer offenen Stellung zum Ball hatte ich lange nichts gehört. Von Verschieben ganz zu schweigen, Pressing war im Gegensatz zu Kick and Rush gänzlich unbekannt.
Mir ist es jedes Mal eine Freude, ein aktuelles Jugendspiel zu sehen. Mit dem heutigen Tempo und Stil hätte eine A-Jugend-Verbandsliga selbst Bundesligateams aus den frühen Jahren zumindest überrascht, wobei Ente Lippens, Charly Dörfel und Stan Libuda wohl auch heute noch manchen Verteidiger zu Boden schicken würden.
Am meisten hat sich das Material entwickelt. Als ich 1969 mit dem Fußball anfing, gab es drei oder vier Bälle im Verein. Alle für Erwachsene (Kinderfußball im heutigen Sinne gab es nicht). Alle beim häufigen norddeutschen Regen schnell mit Wasser vollgesogen. Der Kopf brummt heute noch, wenn ich daran denke.
Die Trikots waren aus dicker Baumwolle, entsprechend schnell voll geschwitzt oder bei Nässe klitschnass, Wappen und Rückennummer wurden aufgenäht. Die Schuhe (adidas Uwe und von meinem Bruder eingespielt) hatten auch nicht das heutige Niveau, mussten aber bis zum bitteren Ende getragen werden.
Duschen hatten wir zunächst keine. Es gab sechs Hähne mit kaltem Wasser – für beide Mannschaften zusammen. Der Sechzehner war ausgetreten und machte bei Regen dem örtlichen Feuerlöschteich Konkurrenz. Das erste Flutlicht bestand aus zwei Masten an der Mittellinie mit je einer Lampe, die den Keepern brutal ins Gesicht schien. Torschusstraining war auch mit schärferen Augen als heute nicht immer eine Freude.
Die Schiedsrichter waren nicht selten alkoholisiert oder nur bedingt regelkundig, manchmal wurden auch Spiele verschoben. Die Währung dafür waren meist Bierkästen. Schienbeinschoner mit Holzstäben hielten dem Tritt eines Abwehr-Raubeins nicht immer stand, wie ich selbst mit ansehen musste.
Und manchmal brach sogar die aus Holz bestehende Latte, bei uns während eines Turniers schon weit vor dem Pfostenbruch am Bökelberg. Es wurde einfach ein Brett von hinten angenagelt – und weiter ging es.
Vieles damals Geschehene und Erlebte wird verklärt. Es war auf jeden Fall anders, vieles vielleicht auch schöner. Man erinnert sich vor allem an die glänzenden Geschichten. Manchmal denkt man sich auch etwas dazu.
Vergleiche sind nicht immer statthaft. So war die Regionalliga bis 1973 die zweite Liga, kann mit der heutigen 4. Liga nicht gleichgesetzt werden. Dennoch könnte es sein, dass Carl Zeiss Jena von heute das von damals in der DDR-Oberliga schlagen würde.
Wir wissen es nicht, und das ist auch gut so. Denn so können die Mythen und Legenden weiterleben. Und die gehören zum Fußball zwingend dazu.