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Johan Cruyff: Mehr als ein Fußballspieler
Er war der personifizierte Botschafter für "Fußball total” und beeinflusste zwei Kulturkreise nachhaltig. Der Niederländer war schon zu Lebzeiten eine Legende. Trotz der WM 1974
Er war der personifizierte “totale Fußball”, wirkte in zwei fußballerischen Kulturkreisen und beeinflusste beide nachhaltig. Die Niederländer lieben ihn als Sportler, die Katalanen vergöttern ihn als Freiheitskämpfer. Johan Cruyff war bereits zu Lebzeiten eine Legende, die nur zwei Dinge stoppen konnten.
Wenn man nur wenige Meter von einem Stadion aufwächst, dann ist der Weg zum Fußballer wohl vorgezeichnet. Und wenn die eigene Mutter dann auch noch beim örtlichen Fußballklub arbeitet, dann wohl zementiert.
Mit 12 Jahren verlor Johan Cruyff seinen Vater. Um die Familie über Wasser zu halten, arbeitete seine Mutter als Küchen- und Putzkraft bei Ajax Amsterdam. Und damit begann Cruyffs Verbindung mit dem Klub, den er später in Europas Fußballspitze führen sollte. “Mein Stiefvater war Platzwart bei Ajax, meine Mutter arbeitete auch da. In der Schulmittagspause zwischen 12 und 14 Uhr bin ich immer dahin gegangen”, erzählte Cruyff später.
Und dann meldete Mutter Cruyff ihren fußballbegeisterten Sohn dort natürlich auch in der C-Jugend an – ein Wendepunkt, der sein Leben, aber dann auch den kompletten Weltfußball verändern sollte. Denn von diesem Moment an gab es für Johan nur noch Fußball. Er brach sogar die Schule ab, um sich ganz auf sein großes Ziel zu konzentrieren. Cruyff wollte Profi werden.
Natürlich war seine Mutter von der Idee wenig begeistert. Genau wie seine ersten Trainer glaubte sie nicht so recht an den Durchbruch. Denn Johann war viel zu dünn und schwach auf der Brust. Außerdem hatte er krumme Füße und wurde deshalb beim Militär ausgemustert. Aber er verbesserte im Kraftraum seine Physis und seine Füßen verhinderten nur den Dienst an der Waffe, aber nicht den am Ball. Im Gegenteil, mit dem startete er durch.
Cruyff war schon als Teenager ein Leader
Mit gerade mal 17 debütierte Cruyff in der ersten Mannschaft von Ajax und hob erst seinen Klub, dann auch die damals noch zweitklassige Nationalmannschaft auf ein neues Level. Sein Mitspieler bei Ajax Piet Keizer erinnerte sich bei fifa.com: „Er war wirklich schmächtig, doch vom ersten Tag an gab er laute Anweisungen und zeigte den anderen, wo sie zu sein hatten. Er war nicht im Geringsten eingeschüchtert. Und schon in diesem Alter erfasste er das Spiel schneller als alle anderen.“
Mit nachhaltigem Erfolg. Cruyff schoss in seinen ersten 64 Einsätzen für Ajax 66 Tore, machte das Team zum Serienmeister und Anfang der 70er dreimal in Folge zum Europacupsieger. Und die Nationalmannschaft, die noch nie zuvor ein WM-Spiel gewonnen hatte, zum Vizeweltmeister.
Totaal Voetbal: Cruyff als Dirigent und erste Geige
Trainerlegende Rinus Michels hatte erst als Ajax-, dann als Nationalcoach mit seinem legendären Spielplan dafür die Basis gelegt. Totaal Voetbal, der jedem Spieler ermöglichte, sich frei auf dem Feld zu bewegen, weil in dem Moment, in dem er seine angestammte Position verließ und nach vorne stürmte, ein anderer seine Position übernahm. Und das überall auf dem Platz und in jeder Phase des Spiels.
Michels hat gewissermaßen die Partitur geschrieben. Cruyff orchestrierte sie als Dirigent. Sein ausgestreckter Zeigefinger wies seinen Mannschaften den Weg. Nach vorne zum gegnerischen Tor. Zum Sieg. Aber er dirigierte nicht nur, sondern spielte gleichzeitig auch die erste Geige. Obwohl er schon als Spieler Kettenraucher war, marschierte er immer vorweg – blitzschnell und mit einer enormen Auffassungsgabe. Cruyff bereitete Tore vor, aber er schoss auch welche.
Und er verstand es, seine Gegner immer und immer wieder zu überraschen und zu täuschen. Erwarteten sie, dass er bremste, dann rannte er ihnen davon. In Situationen, die andere vielleicht mit einem Pass lösten, dribbelte er. Schaute er nach links, spielte er meist nach rechts. Er war einfach nicht ausrechenbar. Und auch nicht unbedingt bescheiden. Er charakterisierte sich später rückblickend mal so:
„Heutzutage können die meisten Spieler nur noch mit dem Spann schießen. Ich konnte mit dem Innenrist, mit dem Außenrist und mit dem Spann schießen – und zwar mit beiden Füßen. Anders ausgedrückt war ich also sechs Mal besser als heutige Spieler.“
Cruyff – ein exzentrisches Genie
Er war eben Genie. Nominell zwar eigentlich Offensivkraft, aber nicht auf Sturm oder Mittelfeld festgelegt. Er konnte auch als Libero oder Außen spielen. Egal, welche Position er einnahm, Cruyff war Weltklasse. Und ja, er war auch wie alle Genies ein bisschen exzentrisch, erlaubte sich so einige Extravaganzen.
Cruyff setzte durch, dass Freundinnen und Frauen der Spieler mit ins Trainingslager kommen durften. Er bestand auf seiner Rückennummer 14, obwohl die Trikotnummern der Nationalmannschaft alphabetisch vergeben wurde und er eigentlich mit der 1 hätte spielen sollen. Er hatte schon in den 70ern zahlreiche Werbedeals, u.a. einen Privatvertrag mit Puma. Deshalb ließ er bei seinem von adidas gestellten Nationaltrikot einen der drei Streifen entfernen.
Aber er konnte es sich leisten. Denn er hatte Erfolg. Mit Ajax und zum Abschluss seiner Karriere auch noch mit Erzrivale Feyenoord gewann er zusammengerechnet neun niederländische Meisterschaften und sechs Pokale, die schon erwähnten drei Europapokalsiegen der Landesmeister, den Intertoto-Cup und zwei europäische Supercups sowie den Weltpokal. Und auch den FC Barcelona führte er zur Meisterschaft und zum Pokalsieg. Und er hinterließ Spuren, die nie verwischen werden.
Mehr als ein Spieler: Volksheld in Katalonien
1973 war er für damals umgerechnet 3,7 Millionen Euro zu Barca gewechselt. Nachdem ihm seine Extravaganzen bei Ajax dann doch zum Verhängnis geworden waren und seine Mitspieler ihn als Kapitän abgesetzt hatten. Barca hieß ihn “als teuersten und besten Spieler der Welt” willkommen. Als “El Salvador”, den Erlöser.
Denn Barca hatte damals 14 Jahre lang keine Meisterschaft mehr gewonnen. Die katalanische Seele blutete, war unter der Franco-Diktatur in Spanien ohnehin unterdrückt. Die katalanische die Fahne, Sprache und Kultur verboten. Doch dann kam Cruyff und wischte Barcelonas Minderwertigkeitskomplexe, die den Club auch aus diesem Grund so lange geplagt hatten, mit einem Wisch weg.
Genauer gesagt mit einem Spiel: Gleich in seinem ersten Clasico führte er Barca zu einem 5:0-Auswärtssieg in Madrid. Und als Barca am Saisonende auch tatsächlich wieder spanischer Meister wurde, wuchs der Hype um den Erlöser Cruyff in Barcelona. Und endgültig in den Herzen der Katalanen festgesetzt hat sich Cruyff, weil er seinen ersten Sohn “Jordi” nannte – nach Sant Jordi, dem katalanischen Schutzpatron.
“Er hätte auch die spanische Version Jorge wählen können. Aber er hat ihn Jordi genannt – das war eine große Geste.” So erklärt es ein Fan in einer TV-Doku über Cruyff. Denn eigentlich war der Name Jordi als katalanische Namensversion damals eigentlich verboten. Das hatte man Cruyff bei der Anmeldung im Standesamt auch mitgeteilt. Doch der ließ sich nicht abwimmeln, beharrte auf dem Namen, setzte sich durch und wurde zur katalanischen Legende. In einer Doku des TV-Senders NOS schwärmen die Menschen in Barcelona noch heute von Cruyffs prokatalanischer Geste: “Er hat uns ein Gefühl nationaler Kraft vermittelt. Er hat viel für Katalonien getan und wir haben tolle Erinnerungen an ihn. “
Cruyff damals schon “mehr als ein Spieler”, später dann “mehr als ein Trainer” und letztlich auch der entscheidende Faktor, dass der FC Barcelona heute das ist, was er ist: “Mehr als ein Klub”. Seine Spielphilosophie, seine Rolle beim Aufbau der Jugendakademie La Masia legten die Grundlage für die goldene Ära der Katalanen, die Jahrzehnte später unter Pep Guardiola ihren Höhepunkt erreichen sollte.
Cruyffs schicksalhafte Begegnungen: Deutschland und Zigaretten
An allem kam Cruyff in seiner Karriere scheinbar mühelos vorbei – nur an zwei Dingen nicht. Das eine waren die Deutschen. 1974 verwehrte ihm die deutsche Nationalmannschaft im Finale von München den erhofften WM-Titel mit der Nationalmannschaft. Und dann versaute ihm der FC Bayern 1978 sein Abschiedsspiel von Ajax. Cruyff verabschiedete sich mit einer 0:8-Niederlage gegen die Münchner in die MLS, wo er noch in LA und Washington kickte, ehe er bei Levante und Feyenoord seine Karriere Anfang der 80er ausklingen ließ.
Und dann waren da noch die Zigaretten. Seit frühester Jugend hatte Cruyff Kette geraucht. Sogar in der Halbzeit hatte er angeblich zum Glimmstängel gegriffen. Als Trainer später auch am Spielfeldrand. Bis ihn ein schwerer Herzinfarkt inklusive Herz-OP 1990 zum Aufhören zwang. “Der Fußball hat mir in diesem Leben alles gegeben, der Tabak hat mir fast alles genommen”, resümierte er später. Letztlich nahm er ihm aber auch das Leben. 2016 starb Cruyff mit erst 68 Jahren an Lungenkrebs.
Und es ist bezeichnend für die Legende, die Cruyff hinterließ, dass selbst ein Spieler wie Gary Lineker, den Cruyff einst bei Barca aussortierte, trotzdem noch heute in den höchsten Tönen von ihm schwärmt: “Er hat mehr dafür getan, das schöne Spiel schön zu machen, als jeder andere in der Geschichte.“