zum Inhalt

Frust bei Ehrenamtlichen ist riesengroß

Während der Profifußball Rekorde feiert, verrotten anderswo Sportplätze. Engagement wird mit Füßen getreten

Foto: Privat

Inhaltsverzeichnis

Von Gerd Thomas

Rüdiger Barney, 75 Jahre alt, ist stinksauer. Nicht über den Spaniens Rubiales, der sexuelle Übergriffe für normal hält. Auch nicht über Kalle Rummenigge, der das Verhalten „absolut okay“ findet, oder über Aki Watzke, der auf „ein überschäumendes Gefühl der Freude“ spekuliert. Das Abschneiden der Leichtathleten, die den Niedergang der Sportnation (das gibt jetzt wahrscheinlich Ärger) manifestierten, ist ebenfalls nicht sein Problem. Barney ärgert sich darüber, wie sich der Männerfußball entwickelt hat.

Er kritisiert, dass eine Krankenschwester pro Jahr weniger als Manuel Neuer pro Tag verdient. Ebenso die Eskapaden der Profis um Goldsteaks und eingeflogene Friseure. Er vermisst Zivilcourage und ärgert sich über vorgefertigte Worthülsen in Interviews ohne Aussagekraft. Und er bemängelt, dass die „Institution Schule“ mit ihren übergeordneten Bildungszielen im Fußball oftmals keinen Platz findet.

Rücksichtsloses Benehmen gegenüber den Schiedsrichtern als auch hinterm Steuer ihres Luxuswagens - das betrifft laut Barney schon Jungstars. Der Spielfeldrand gleiche bei Jugendspielen einem „aufgescheuchten Hühnerhaufen“ von Eltern. Inklusive disziplinarischer Ausfälle. Und er rät eine prominente Auseinandersetzung mit dem hoch kommerzialisierten Fußball an.

Warum uns die Meinung von Rüdiger Barney interessieren sollte? Er war viele Jahre Leiter der Poelchau-Oberschule, einer Eliteschule des Fußballs in Berlin, die viele vermeintliche Supertalente aus dem Nachwuchsleistungszentrum von Hertha BSC beherbergt. Der Mann weiß also Bescheid. Nun ist es derzeit leicht, auf die olle Tante einzuschlagen, worum es hier nicht gehen soll. Mich interessiert ohnehin (wie beim DFB auch) viel mehr, wer die finanzielle Misere angerichtet hat und warum diese Finanzgenies schadlos davonkommen. Die Nachfolger haben einen Sanierungsfall am Hals und müssen sich sogar noch Klugscheißerei von inkompetenten Vorgängern anhören.

Rüdiger Barney veröffentlichte seinen lesenswerten Aufsatz mit der Überschrift "Ein toller Sport wird pervertiert" im Berliner Tagesspiegel (leider verschlüsselt):

Ein toller Sport wird pervertiert: Eine Abrechnung mit der Parallelwelt Profifußball
Der Fußball ist zum reinen Geschäft verkommen. Und das hat inzwischen auch Einfluss auf die Basis. Auch dort dreht sich fast alles nur noch ums Geld.

Der Text sollte die Nachwuchsleistungszentren animieren, ihre Gepflogenheiten zu überprüfen. Derzeit reden fast alle über Ausbildung, eine vernünftige Persönlichkeitsstärkung gehört unmittelbar dazu.

Apropos Ausbildung: Ich habe mich kürzlich mit Unternehmen und Fachfrauen von zwei Bildungsträgern getroffen. Wir wollen beim FC Internationale ein Pilotprojekt starten und den Fußball nutzen, um unseren Spielerinnen und Spielern zu helfen, den richtigen Beruf zu finden. Hochwertige Bildung ist das UN-Nachhaltigkeitsziel Nr. 4, genau wie Nr. 10 (Weniger Ungleichheiten).

In unserem Verein achten wir darauf, dass Menschen aller Milieus miteinander spielen. Es wäre leicht, ein reiner Bildungsbürgerverein mit gut situierten Menschen zu werden. Ob die tägliche Arbeit leichter wäre, sei dahingestellt. Uns ist eine gesunde Mischung wichtig, denn Vielfalt ist nicht nur Realität, sondern schafft auch Wettbewerbsvorteile. Berlin ist eine diverse und multikulturelle Stadt; dem wollen wir Rechnung tragen.

In dieser Woche beginnt das neue Schuljahr. Wir werden wieder viele Anfragen von Eltern bekommen, ob ihre Kinder nicht zu Inter kommen können. 2022 haben wir mehr als 400 abgesagt. Die Sportstättenmisere Berlins ist legendär. Das Flutlicht für den neuen Sportplatz geht zwar seit Mittwoch, darf aber nicht eingeschaltet werden. Es braucht noch eine Zeichnung sowie eine Abnahme durch die Personen X, Y und Z!!! Es wird also Training ausfallen, obwohl die Männer schon in der Saison sind, Frauen und Jugend kurz davorstehen. Habe ich schon erwähnt, dass auch vergessen wurde, Kabinen zu bauen? Die Frustration im Vorstand und bei den Ehrenamtlichen ist riesengroß. So wird Engagement mit Füßen getreten.

Es tröstet auch nicht, dass viele andere Vereine vor ähnlichen Problemen stehen. „Janz Berlin is eene Wolke.“ Zur Wahrheit gehört aber auch, dass allein in unserem Bezirk (größer als Bonn, Münster oder Chemnitz) mehr als 400 Stellen im Amt nicht besetzt sind. Die Hungerlöhne, die Neueinsteigern angeboten werden, spotten jeder Beschreibung. Wie will man so das begehrte Personal finden? RBB-Meldung dazu: „In den Bezirken fehlten die Beschäftigten in den Ordnungsämtern durchschnittlich fast 60 Tage, in den Bürgerämter rund 55 Tage.“

Mitarbeitende im öffentlichen Dienst fehlen im Durchschnitt rund 41 Kalendertage


Der DOSB fragte jüngst, ob Deutschland eine Sportnation ist. Klar, es wird viel Sport getrieben, auch wenn der Bewegungs-, Gewichts- und Gesundheitszustand vieler Menschen besorgniserregend ist. Wenn man bei den internationalen Fußballturnieren oder der Leichtathletik-WM das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ zugrunde legt, sind wir eine Sportnation. Wenn wir den Enthusiasmus für das Gelingen des Breitensports in Politik und Verwaltung zugrunde legen, bin ich eher skeptisch.

Wie kriegen wir die nötige Euphorie hin, den Sport endlich zu einem Top-Thema zu machen? Wie können wir die Bedingungen so verbessern, dass sich mehr Menschen an der Basis engagieren? Wir haben uns unter www.hartplatzhelden.de dazu Gedanken gemacht, aber wen interessiert das eigentlich? Weise ich auf die gigantischen Summen für Kulturpaläste und Prestigeobjekte hin, heißt es, ich dürfe Sport nicht gegen Kultur ausspielen. Eine Verwandte ist Geschichtslehrerin und Museumsbesucherin. Auch sie stellt die veranschlagten 1,5 Milliarden für die Sanierung des Pergamonmuseums oder eine Milliarde für den Wiederaufbau eines Stadtschlosses in Frage, wenn gleichzeitig Schulen und Sportstätten verrotten.

Ehrenamt sollte eigentlich Unterstützung und nicht ständig Behinderung erfahren. Wir müssen deutlich ambitionierter werden, wenn es um Ausstattung und Bedingungen für den Sport, nicht zuletzt den Amateurfußball geht. Ich habe für den 07.09. eine Einladung vom DOSB zum Panel beim Dialogforum Sportentwicklung. Thema: „Zusammenarbeit zwischen Sportverein und Kommune“. Ich will nichts vorwegnehmen, aber wir haben einiges zu klären.

Gerd Thomas ist Vorstand beim FC Internationale Berlin und schreibt in seiner Kolumne auf Fever Pit'ch, wie es an das Basis zugeht

Kommentare

Aktuelles