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EM 2024 ohne Weltstars, aber mit Albanien

Beim Turnier in Deutschland werden womöglich Lewandowski, Haaland und Modric fehlen – dafür könnte ein DFB-Angstgegner dabeisein

Foto: Imago / Bildbyran

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Die Fußball-Europameisterschaft wirft ihre Schatten voraus. Ich liebe diesen Satz, er birgt spannende Widersprüche. Denn einerseits sollte eine EM keine Schatten vorauswerfen, sondern Licht, denn wir freuen uns ja alle auf sie. "Licht vorauswerfen" klingt andererseits komisch, man kann nämlich strenggenommen mit Licht nicht werfen, außer vielleicht in Form einer weggeschleuderten Taschenlampe. Also doch Schatten. Gestern wurde mir auch klar, warum die EM in Deutschland tatsächlich Schatten vorauswirft: Womöglich werden wir nächsten Juni/Juli einen erheblichen Mangel an Superstars beklagen müssen.

Nehmen wir die Norweger. Sie stehen in ihrer Europa-Qualifikationsgruppe A nur auf Platz drei und können selbst dann nicht Zweiter werden, wenn sie ihr letztes Spiel gegen die Schotten 13:0 oder 25:1 gewinnen.

Ich muss dazusagen, dass normalerweise kein klardenkender Mensch bei einer EM Norweger vermisst, solange es sich um keine EM handelt, wo Eis oder Schnee eine Rolle spielen. Eine Schreib-EM ohne Norweger wäre auch schlecht, schließlich stellt das laut Economist "demokratischste Land der Welt" den amtierenden Literaturnobelpreisträger Jon Fosse, der leider nicht kicken kann.

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Ich mach's kurz: Die Norweger sind nur deshalb EM-relevant, weil sie als Pilotfisch des Superstürmers Erling Haaland agieren. Ohne Norwegen kein Haaland.

Dass die Nordnordlichter in ihrer Gruppe trotz Haaland von Spanien und Schottland abgehängt worden sind, beweist mal wieder, dass ein Stürmer allein nichts ausrichten kann, außer vielleicht in Stuttgart.

Inzwischen müssen die Norweger wegen ihrer schwachen Leistungen in der Qualifikation sogar fiesen Spott ertragen. Sie wurden zuletzt mit einem deutschen Abo-Zweitligisten verglichen. "Wir sind der HSV Europas!" – sagte nicht ich, also bitte keine diesbezüglichen Lesermails –, lästerte Ex-Bundesligaprofi Kjetil Rekdal.

Zum Glück ist die Uefa ein findiges Gummiparagrafenunternehmen. Norwegen könnte zum Beispiel vielleicht trotzdem zur EM fahren. Ich verstehe nur nicht so genau wie, weshalb ich hier lieber die Süddeutsche Zeitung von gestern zitiere:

Norwegen kommt im nächsten Sommer nur dann in den Genuss einer EM-Reise nach Deutschland, wenn sich mindestens 16 der 22 Mannschaften, die in der Nations-League-Rangliste vorne stehen, direkt für die EM qualifizieren. Oder aber: wenn mindestens vier der sieben Mannschaften, die aktuell in der Nations-League-Staffel B vor Norwegen liegen, das Ticket lösen.

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Und die Iren müssten sogar freiwillig gegen die Holländer verlieren, um eventuell zur EM fahren zu können. Alles klar?

Mir nicht, aber ist ja auch egal.

Die Teilnahme von Robert Lewandowski ist in noch größerer Gefahr. Die Polen bewegen sich zwar in der weltweiten Demokratie-Rangliste neuerdings nach oben, scheiden jedoch in umgekehrtem Maße im Fußball-Ranking dahin. Reichte es im Juni für einen Testsieg gegen das deutsche Flick-Team, sind unsere Nachbarn nun in einer Gruppe mit Albanien (!) und Tschechien nur Dritter, was gar nicht zu einer EM-Teilnahme berechtigt. Selbst die Republik Moldau lauert: Sie hat ein Spiel weniger und könnte die Polen auf Platz vier verdrängen.

Eine EM ohne Lewandowski, den Weltfußballer von 2021 und 2022, und ohne den Champions-League-Sieger Haaland ist ein grässlicher Gedanke. Zumal ja der Stuttgarter Wunderstürmer Serhou Guirassy, der momentan alle anderen Spieler überflügelt, zwar in Frankreich geboren wurde, aber blöderweise für das nicht EM-berechtigte Guinea spielt.

Lewandowski, Haaland, Guirassy. Und Luka Modrics Kroaten sind nur Gruppendritter. Wir müssen uns wohl auf akute EM-Star-Armut einstellen. Zum Glück ist der ewige Cristiano Ronaldo – er wird bei Turnierbeginn 39 Jahre alt sein – dabei: Portugal marschiert gnadenlos durch die Qualifikation (acht Spiele, acht Siege). Und die Franzosen mit Kylian Mbappé sind ebenfalls bereits qualifiziert.

Eigentlich wollte ich hier anmerken, dass auch die stargetränkten Holländer im Endspurt die EM wohl doch erreichen. Ich habe aber am Montagabend die zweite Hälfte ihres 1:0 bei den Griechen gesehen – da war nichts, worauf man sich freuen müsste.

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Wem außer dem deutschen Team soll ich also im Sommer 2024 zujubeln? Jasir Asani? Nedim Bajrami? Das sind die besten albanischen Torschützen in der EM-Qualifikation (je drei Treffer) – die beiden musste ich googeln.

Ich freue mich trotzdem auf den spannenden Außenseiter, der seine Qualifikationsgruppe anführt, auch wenn niemand genau versteht, wie das passieren konnte. Denn Albanien ist ein Synonym für Punktelieferant. Vor allem ältere Fans assoziieren mit Albanien vor allem aschige Fußballplätze und ratternde TV-Übertragungen, wie wir sie heute nur noch von USA-Spielen auf RTL oder von DAZN kennen.

Vielleicht landen die Albaner ja am Ende sogar in einer EM-Gruppe mit uns. Das könnte heikel werden, denn gegen diesen Fußballzwerg hatte Deutschland fast immer Probleme. Unvergessen ist die Schmach von Tirana, wo das DFB-Team 1967 nur 0:0 spielte und so die EM-Qualifikation verpasste. 16 Jahre später schafften es Matthäus, Rummenigge & Co. nur dank eines Kopfballtors von Gerd Strack (2:1) gegen Albanien zur EM 1984.

Ich sag' ja: Die EM wirft ihre Schatten voraus.

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