zum Inhalt

Otto Rehhagel: Ein Fußballgott wird 85

Er schaffte Wunder am Fließband, sie nannten ihn König und Rehakles, er nahm ein ganzes Land auf seine Schultern – heute hat die Trainerlegende Geburtstag

Foto: Imago / Pro Shots

Inhaltsverzeichnis

Ich habe Otto Rehhagel in meinem Leben nur einmal getroffen, und das ist ewig her. Was er damals zu mir sagte, werde ich nie vergessen. Es handelt sich – vielleicht mit Ausnahme von: "Unser HSV-Reporter ist ausgefallen. Geh' du ins Stadion" – um die schlimmsten Sätze, die einem als Journalist gesagt werden können.

"Nein, es tut mir leid, Sie bekommen kein Interview", sagte Rehhagel zu mir. "Sie haben zu schlecht über mich geschrieben." Seine Frau Beate stand neben ihm und nickte und schaute mich mitleidig an.

Das Ganze war kurios, weil ich überhaupt nichts über Rehhagel geschrieben hatte. Ich war gerade erst zur Abendzeitung gekommen, und die hatte schlecht über ihn geschrieben, als er noch Bayern-Trainer gewesen war. Das lag daran, dass Rehhagel in München nicht nur die Spieler nach seinen Vorstellungen aufstellen wollte, sondern auch die Journalisten. Man mochte sich nicht recht, und die Sache ging schnell vorbei.

Ich schreibe das alles, weil ich mich schwer tue mit nicht enden wollenden Lobeshymnen. Ich finde, ein bisschen kritische Auseinandersetzung mit Fußballgöttern muss auch rein in so einen Text.

Otto Rehhagel ist ohne Zweifel ein Fußballgott.

Er hat Wunder vollbracht und ganze Völker glücklich gemacht: die Griechen, die Pfälzer, die Bremer. Otto Rehhagel ist meines Erachtens auch der einzige Trainer, der in einem Relegationsspiel Deutscher Meister werden könnte.

Ich muss aus Platzgründen darauf verzichten, hier sämtliche Wunder aufzuzählen, die der Trainer Rehhagel vollbracht hat, der auch als Spieler erfolgreich war und am 1. Spieltag der Bundesliga, also dem ersten überhaupt, 1963, für Hertha BSC auf dem Platz stand.

Illustration: Jens Uwe Meyer / bergfest.at

Ein paar Wunder aber vielleicht schon: Rehhagel konnte vergreiste Menschen wieder zum Laufen zu bringen, was ja historisch gesehen nicht einmalig ist, aber unter Rehhagel liefen die Alten und Gebrechlichen nicht nur plötzlich, sie konnten sogar hochklassig Fußball spielen; daran hat sich selbst Jesus die Zähne ausgebissen.

Rehhagel holte so mit dem kleinen Werder Bremen zwei Meisterschaften, den DFB- und 1992 den Europapokal. Er gewann 1998 mit Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern gleich die Deutsche Meisterschaft – das ist ein Ereignis, das so häufig eintritt wie der Urknall. Heidenheim müsste diese Saison die Schale holen, um es nachzumachen.

Aber das ist alles nicht der Rede wert.

Nicht im Vergleich zu dem, was 2004 geschah – dem Jahr, in dem die Uhren stehenblieben, weil Otto Rehhagel alle Zeiger in der Hand hielt: Er führte Griechenland zur Europameisterschaft. Nicht zur Europameisterschaft im Lammgrillen oder im ansatzlosen Spurwechsel beim Autofahren oder im Sonneblumenkernentkernen, nein, im Fußball. Ein unfassbarer Vorgang eigentlich. Surreal.

Ich habe mit Absicht geschrieben, dass Rehhagel Griechenland zur Europameisterschaft führte und nicht nur die griechische Mannschaft, denn so fühlte es sich an. Für mich, den Halbgriechen, war es ein bewegender Vorgang. Ich wusste und spürte, was dieser Sieg den maroden Vollgriechen bedeutete, deren letzter großer Erfolg ja schon eine Weile zurücklag; ich glaube, es war das 2:1 im Jahre 333 v. Chr. gegen die Perser. Trainer damals: Alexander der Große.

Griechenland Europameister 2004 im Fußball, das war, als würde jemand ein defektes Atomkraftwerk mit einem Ikea-Schlüssel wieder zum Laufen bringen.

Otto Rehhagel und seine Erfolge für die Ewigkeit
Der wahrscheinlich größte deutsche Fußballtrainer wird 85 Jahre alt - eine Ode an einen Mann, der im Umgang mit den Medien nicht immer einfach war.

Zu meinem All-Time-Lieblingsmoment wurde aber nicht der Jubel nach dem Abpfiff des Endspiels gegen die Portugiesen um Luis Figo und den blutjungen Cristiano Ronaldo. Sondern der Moment am Tag danach, als Otto im vollgestopften, feiernden Athen das antike Olympiastadion von 1896 betrat. Was für ein Moment! Aus König Otto wurde Rehakles.

Auf dem Lykavittós, den der Sage nach die Göttin Athene irgendwann ein paar 1000 Jahre vorher vorbeigebracht hatte, wurden Salutschüsse abgefeuert. In ganz Griechenland ruhten, glaube ich, für fünf Minuten alle Gyrosspieße.

Man musste kein Grieche sein, Halbgrieche reichte auch, um diesen Otto Rehhagel, der ein ganzes Land auf seine Schultern genommen hatte, im Juli 2004 für immer in sein Herz zu schließen. Was er geschafft hat, gab es nie und wird es nie mehr geben.

Heute wird Otto Rehhagel, geboren 1938 in Essen, 85 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch und Χρόνια Πολλά – noch "viele Jahre", wie die Griechen sagen.

Machen Sie's gut, Trainer.

Steudel-Kolumnen gibt es auch als Buch! Titel: "Die nächste Kolumne ist immer die wichtigste". 276 Seiten, 14,95 Euro. Wer's sofort will: Hier bestellen! Wer fürs gleiche Geld ein signiertes Exemplar bevorzugt: Mail an post@alexsteudel.de.

Kommentare

Aktuelles