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Und irgendwann kleben sie sich an die kalibrierte Linie

Überall Protest – das Spiel Hertha BSC gegen HSV stand sogar vor dem Abbruch, weil Fans Tennisbälle warfen. Eine seltsame Aktion

Foto: Imago / Contrast

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Die vielen Investorenplan-Proteste in deutschen Stadien haben mich am Wochenende nicht überrascht. Die aufsehenerregende Aktion, wegen der das Spiel Hertha-HSV beinahe abgebrochen wurde, dagegen sehr: Ist den Fans dieser beiden Vereine eigentlich beim Tennisballwerfen nie der Gedanke gekommen, dass es sich nur um einen Zweitligakick Zehnter gegen Vierter handelte? Mir wäre das jedenfalls ein bisschen peinlich gewesen. Ich protestiere ja auch nicht vor der Kreissparkasse Bad Oeynhausen gegen die US-Zinspolitik.  

Dazu kommt dieser innere Widerspruch: Dieselben Fans, die jetzt Bälle warfen und so das Spiel für über eine halbe Stunde lahmlegten, fanden es in der Vergangenheit nicht schlimm, wenn ihr Lieblingsklub mit ungesichertem Investorengeld einen Haufen teurer Profis holte.

Vor allem Hertha BSC hechelt seit Jahren jedem halbseidenen Hallodri hinterher, der nur im Verdacht steht, Dreifuffzig in der rechten Gesäßtasche zu haben, für die man einen 39 Jahre alten Stürmer aus Südbulgarien kaufen könnte.

Merke: Den gemeinen Fußballfan elektrisieren an so einem "Investor" hauptsächlich dessen letzte drei Buchstaben.

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In dem Moment aber, da namhafte, international agierende Investmentgesellschaften bei der DFL einsteigen sollen, ist das Geschrei groß. Mich wundert das kaum. Die Fans wissen: Das auf diese Weise eingenommene Geld darf nicht für teure Spieler ausgegeben werden, es kommt völlig unnötigen Geschäftsstellenumbauten und dem Ausbau dieses Internets zugute.

Ich bin ja auch gegen einen großflächigen Einstieg auf Pump. Aber es ist immer noch besser, mit Profis zusammenzuarbeiten als mit Investoren, die das Wort Insolvenz genauso häufig benutzen, wie HSV-Trainer Tim Walter am Spielfeldrand "Fehlentscheidung!!!" schreit.

Und was ich gar nicht verstehe: Dass Menschen ausgerechnet Tennisbälle auf den Platz werfen. Was hat Tennis mit Investoren zu tun? Goldtaler verstehe ich als Symbol. Oder: in einem Akt zivilen Ungehorsams sich selbst auf die kalibrierte Linie kleben. Aber gelbe Tennisbälle? Am Samstag meinte ich im ersten Moment, HSV- und Hertha-Fans fordern nicht die Abkehr vom Investorenmodell, sondern, dass ein Tor künftig 15 Punkte bringen müsse. Oder sie wollen, dass der zweite Abschlag eingeführt wird.

Nur ganz kurz dachte ich darüber nach, ob die Tennisbälle womöglich metaphorisch geworfen wurden und den Vorbildcharakter der Profi-Tennisserien von WTA und ATP hervorheben sollten: Das Welttennis wird von den Spieler(innen) selbst gesteuert, sehr vorbildlich, sag ich nur. Wohin sich der Fußball entwickeln würde, falls Alphonso Davies und Davie Selke das Sagen hätten, das möchte ich mir aber lieber nicht ausmalen.

Grundsätzlich, so viel Zeit muss sein, verstehe ich aber die Proteste. Auf Pump in die Miesen rutschen ist kein Geschäftsmodell, also außer im Landkreis Gelsenkirchen. Jeder, der mal ein Spielcasino besucht, dort seine letzten 250 Euro verspielt und danach mitten in der Nacht schweißgebadet einen EC-Automaten gesucht hat, weiß, was ich meine.

Den Vorgang, Geld auszugeben, das man gar nicht hat, nannte man übrigens bis vor ein paar Jahren liebevoll Griechenland.

Heute haben sogar die Griechen einen besseren Riecher als unsere Bundesliga.

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