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Der Fall Boateng: Vorbild predigen, Wein trinken

Die Bayern erwägen die Verpflichtung des immer wieder vor Gericht stehenden und deshalb umstrittenen Ex-Weltmeisters – dürfen die das?

|3. Oktober 2023|
Der Fall Boateng: Vorbild predigen
Der Fall Boateng: Vorbild predigen

Foto: Imago / Sven Simon

Inhaltsverzeichnis

Der Profifußball zeigt gerade mal wieder sein freundlichstes Gesicht. Beim Zweitligisten Hertha BSC wurde am Montag der Tor hütende Kneipenschläger Marius Gersbeck begnadigt. Und Jerome Boateng, Stammgast vor Gericht, hat vom FC Bayern eine Trainingseinladung an die Säbener Straße bekommen. Vielleicht darf er ja demnächst sogar die Trainingsgruppe Hernandez wiederbeleben.

Besonders der Fall Boateng beschäftigt seit Tagen die Fußballcommunity. Erinnerungen werden wach, zum Beispiel an Bayerns Lucas Hernandez, der mit anderthalb Beinen im Gefängnis stand. Die Frage, die alle quält: Sollte man einen Spieler, der wegen des Vorwurfs häuslicher Gewalt immer wieder vor Gericht steht, einfach so mitkicken lassen und so tun, als habe er nur ein paar Mal falsch geparkt?

Boateng: “Nicht Bayern-like” oder “erstklassiger Spieler”?
In akuter Personalnot testet der FC Bayern einen alten Bekannten: Jérôme Boateng könnte einen neuen Vertrag erhalten. Nicht nur sportliche Gründe sprechen gegen eine Verpflichtung. Doch der 35-Jährige hat auch Argumente auf seiner Seite.

„Wenn er irgendeine Qualität hat, die der Mannschaft weiterhilft, würde auch Jack the Ripper einen Vertrag in der Bundesliga bekommen“, lästerte mein Kollege Günter Klein auf Twix, oder wie das jetzt heißt.

Während sich alle Welt fragte, was das alles soll, klärte Bayerns Sportdirektor Christoph Freund auf: Das Ganze sei „eine private Geschichte“. Achsoooo!

Und ja: die Unschuldsvermutung.

Die Süddeutsche kommentierte am Montag: „Es ist ja nicht so, als wäre Boateng vor dem Obersten Landesgericht freigesprochen worden vom Verdacht, Sherin S., die Mutter seiner beiden Kinder, im gemeinsamen Urlaub 2018 geschlagen, geboxt, bespuckt und beleidigt zu haben. Von all diesen Taten war das Landgericht München zuvor ‚vollkommen überzeugt‘ und hatte Boateng zu einer Strafe von 1,2 Millionen Euro verurteilt. Der Fall wurde am 21. September lediglich wegen gravierender Verfahrensfehler ans Landgericht zurückverwiesen.“

Tja. Und jetzt?

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„Wir müssen einander verzeihen, wenn wir nicht wie Wilde leben wollen“, schrieb schon Zola (nein, nicht der Fußballer!), und das gilt natürlich genauso für Jerome Boateng. Muss man aber gleich so weit gehen? Hätte es eine kleine Grillparty nicht auch getan?

Der FC Bayern hat übrigens vor sechs Wochen mit seinen Fans und der AWO München das „Awareness-Konzept OBACHT“ gestartet, um eine, Zitat Klubhomepage, „Kultur des Hinsehens zu schaffen“ und „diskriminierenden und menschenverachtenden Einstellungen entschieden entgegenzutreten“ – was „ebenso für jede Form von Gewalt gilt“. Steht da.

Ich bin gespannt, wann Boateng die Schirmherrschaft übernimmt.

Während sich Hertha-Torhüter Gersbeck inzwischen in den Staub geworfen und entschuldigt hat, sind an der Säbener Straße womöglich viele froh, dass die Unschuldsvermutung auch für Ex-Weltmeister gilt, die Abwehrprobleme beheben könnten.

So ist er halt, unser Profifußball. „Mein Vorbild“-Kampagnen starten, Wein trinken.

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