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Bundesliga-Schiedsrichter pfeift mit 87 immer noch

Udo Zuchantke ist eine Schiri-Legende in Berlin. Und kann von seiner Pfeife einfach nicht lassen. Jetzt wurde ihm eine große Ehre zuteil

Das Foto ist 47 Jahre alt: Udo Zuchantke 1977 neben Rainer Bonhof und Martin Kübler. Foto: Imago / Eissner

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Heldengestalten gibt es zuhauf im Fußball: wahre Helden, vermeintliche Helden und vor allem tragische Helden. Von Helden an der Pfeife liest man selten. Aber genau um so einen soll es hier gehen.

Der 87-jährige Udo Zuchantke wurde mit dem Ehrenpreis der Berliner Schiedsrichter ausgezeichnet. Er pfeift seit 70 Jahren Fußballspiele. Doch nicht nur aufgrund seines Alters ist Udo es wert, sich näher mit ihm zu beschäftigen. Mal davon abgesehen, sollte der Mann das Bundesverdienstkreuz bekommen. Einem Vergleich mit manchem Politiker, Unternehmer oder Sportfunktionär hält er allemal stand. Lieber Kay Wegner, geben Sie sich einen Ruck!

Sichtlich gut gelaunt und immer noch tatkräftig betrat Udo die Bühne auf der Fanzone vor dem Brandenburger Tor, wo er im Kreise vieler deutlich jüngerer Schiedsrichter und einer Schiedsrichterin unter großem Applaus geehrt wurde. Gefragt nach seinem letzten Einsatz, antwortete er, der läge erst wenige Tage zurück, als er die Partie der D-Jugend beim Friedenauer TSC leitete. Immerhin Landesliga, wobei er beim FC Internationale auch schon eine Klasse höher gepfiffen hat, also in der Verbandsliga.

Warum kann er noch pfeifen, obwohl er so in die Jahre gekommen ist? Nun, Udo war sogar mal Bundesliga-Schiedsrichter (insgesamt 39 Spiele von 1971 bis 1978). Er weiß einfach, wie es geht. Auf die Frage des Moderators, welches sein erstes Profispiel war, antwortete er spontan: „Eintracht Frankfurt gegen Dortmund“. Es gibt weniger attraktive Partien. Sein letztes Match in der Bundesliga war dann noch eine Steigerung, nämlich ein echtes Ruhrpott-Derby: Bochum gegen Schalke!

Wenn Udo bei uns in die Inter-Arena kommt und ich zufällig zeitgleich vor Ort bin, freue ich mich. Und die Trainer und Spieler auch. Mal sehen, ob er in der neuen Saison weiterpfeift. Er kann den wendigen 11- und 12-jährigen nicht mehr folgen, nicht stets auf Ballhöhe sein. Aber er hat diese Erfahrung. Und er muss sich nicht mehr nach oben pfeifen, da war er schließlich schon. Er hat also weniger Druck. Es gibt noch ein paar erfahrene Schiris, die bewusst Jugend-Kleinfeld pfeifen. Und meistens ist das Klima am Spielfeldrand dann viel ruhiger.

Bei der Ü50 und Ü60 kommen ständig Unparteiische, die in die Jahre gekommen sind. Ist mal einer in den Vierzigern, kommt das einer Sensation gleich. Das Niveau der Referees ist nicht immer das beste, eher altersgerecht. Warum sollten Spieler, die ihren Zenit bereits um mehr als 30 Jahre überschritten haben, von Manuel Gräfe oder Daniel Siebert gepfiffen werden? Eben. Einige Spieler wünschen sich anstelle von guten Schiris eh lieber gute medizinische Betreuung. Wobei es faszinierend ist, in welchem körperlichen Zustand einige 65-jährige noch sind. Und wehe ich komme den Leuten bei uns mit Walking Football! Dabei können auch zweitklassige Vereine hier große Erfolge feiern.

Udo Zuchantke heute. Foto: privat

Zurück zu den Heranwachsenden. Es ist nicht so, dass bei jedem zweiten Jugendspiel Konflikte ausbrechen, auch wenn uns das einige übermotivierte Journalisten erzählen wollen. Quoten- und Auflagendruck sind eben oft noch größer als der auf dem Fußballfeld. Jugendfußball ist ein bisschen wie auf dem Schulhof oder wie in der U-Bahn. Nicht immer von der vornehmsten Seite, eher gewöhnungsbedürftig, rhetorisch oft nicht von der feinsten Seite. Wie sagt man so gern: Knapp vorbei ist auch daneben.

Sprüche und Posen sind an der Tagesordnung, aber erfahrene Trainer und eben Unparteiische bringen das Geschehen in die richtige Bahn. Was bei manchen erwachsenen Erziehungsberechtigten am Spielfeldrand schon schwieriger ist, denn da stehen oft die richtigen Experten – die objektiven Fachleute, die über jedes Fehlurteil erhaben sind. Nicht wenige Kinder und Jugendliche wünschen sich, ihre Erzeuger würden den Nachmittag während ihrer Spiele lieber im Baumarkt verbringen.

Udo Zuchantke ist eher ein ruhiger Vertreter, aber als der Ärger von außen vor ein paar Jahren überhandnahm, sagte auch er: „Jetzt muss was passieren.“ Er war mit dieser Ansicht nicht alleine, die Berliner Schiedsrichter streikten an einem Wochenende.

Nicht alle im BFV-Präsidium teilten die Entscheidung, doch sie konnten sie nicht verhindern. Immerhin: Die Firma Matthäi Bau, Partner von Werder Bremen, hat vor einigen Jahren ein ganz besonderes Sponsoring angeboten. Man fördert die Stelle einer Psychologin, die den Unparteiischen zur Seite steht.

Viele ältere Schiedsrichter hörten allerdings nicht wegen der rauen Sitten auf. Als vor einigen Jahren der elektronische Spielbericht eingeführt wurde, wollten das viele nicht mehr mitmachen. Digitalisierung, schlechte Ausstattung der Vereine, desaströse Internetleitungen waren Grund genug, den Dienst an der Pfeife zu quittieren. Nicht so Udo. Er kam eines Tages und sagte zu mir: „Mein Jung, kannst du mir wieder beim Ausfüllen helfen, ich kann das nicht mehr so gut sehen.“ Klar, war mir eine Freude. Schon allein, weil man mit rund 60 Jahren nicht mehr oft so angesprochen wird. Nach dem Spiel las er mir vor, was auf seiner Karte stand, und ich gab das in den Computer ein. Ich vermute, so läuft das immer noch.

Auf dem Platz bedurfte er keiner Hilfe. Es gibt einfach diese Leute, die eine gewisse Aura mitbringen. Und sagt doch einer „Was will denn der Opa hier?“, erklärt man ihm, der Mann wäre schon da gewesen, wo wohl kaum einer der jungen Flitzpiepen hinkommen wird – in der Bundesliga. Was soll man da noch entgegnen?

Ich habe bei einer A-Jugend mal zu einem ähnlichen Mittel gegriffen. Vor der Saison sagte ich den Spielern, dass ich keine Diskriminierungen hören möchte. Auch nicht die allgemein im Sprachschatz der Sprösslinge verbreiteten behindertenfeindlichen Sprüche. Zumal unsere Kooperationspartner von den Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung ohnehin besser seien. Großes Gejohle! Eine kurze Kunstpause, dann folgende Erklärung: „Die sind Deutscher Meister, das wird von euch kaum jemand werden!“ Ruhe im Saal und bei mir ein inneres Grinsen. Nicht reicht die Schlagfertigkeit aus, doch manchmal gelingt einem doch ein Geistesblitz mit anschließendem Volltreffer.

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