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Das Trainerkarussell: Motivator, verzweifelt gesucht

Sind die Übungsleiter von heute vielleicht zu sehr mit sich selbst, ihrer genialen Taktik und ihren Laptops beschäftigt?

|13. Februar 2024|
Das Trainerkarussell: Motivator
Das Trainerkarussell: Motivator

Der Neue in Mainz: Bo Henriksen Foto: Imago / Steinsiek.ch

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Unter Trainer Jan Siewert haben die Spieler von Mainz 05 in letzter Zeit so hungrig gewirkt wie ich nach einem Kilo Weihnachtsgans, und jemand stellt mir vier Nutellabrote hin. Die Mannschaft knicke beim schwächsten Gegenwind ein und verliere den Faden und den Kopf, sagte FSV-Profi Jonathan Burkhardt am Sonntag nach dem 1:3 in Stuttgart. Danach wurde Siewert gefeuert.

Beim HSV wirkte es in der Vergangenheit immer so, als motiviere sich Trainer Tim Walter an der Seitenlinie hauptsächlich selbst. Auch er ist jetzt Geschichte.

In München schafft es Trainer Thomas Tuchel nicht, die angeblich guten Trainingsergebnisse (Merke: Im Training geht’s um nichts) in ein Bundesligastadion zu transferieren: Seine Spieler haben es nach dem Debakel gegen Leverkusen so ähnlich formuliert.

Tuchels Auftritte in Pressekonferenzen erinnern mich ein bisschen an die eines Börsenanalysten, weniger eines Motivators. Ich mag seine Art, aber wenn ich abends ein Interview mit ihm gesehen habe, spüre ich nicht gerade den Drang, über Nacht die Welt zu verändern.

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Sprechen die Trainer der Spitzenklubs Dortmund (Edin Terzic) und Leipzig (Marco Rose) zu ihren Mannschaften, muss auch nicht unbedingt jemand mit Feuerlöscher danebenstehen, um im Notfall eingreifen zu können, befürchte ich.

Was ist bloß los mit unseren Trainern?

Christoph Daum ließ seine Leute früher über Glasscherben laufen. Klaus Toppmöller brachte einen Adler mit in die Kabine. Otto Rehhagel und Werner Lorant regierten mit brutaler Autorität: Ihr Fußvolk kam vor lauter Angst nicht auf den Gedanken, schlecht zu spielen.  

Ich habe jedenfalls schon lange keinen Spieler mehr gehört, der nach einem Sieg sagte: „Wir haben letzte Woche grauenvoll trainiert und eigentlich einen furchtbar schlechten Kader – aber unser Trainer peitscht uns derart auf, dass wir rennen wie die Hasen. Mir tun die anderen leid, die waren ja viel besser als wir.“

Warum ist das so? Sind die Trainer von heute vielleicht zu sehr mit ihren sechsköpfigen Taktikfindungkommissionen, die auf Laptops starren, beschäftigt?

Mainz 05 setzt bei Trainerwahl auf dänische Erfolgsspur
Ein Däne mit dem Vornamen Bo: Beim 1. FSV Mainz 05 gibt es ein Déjà-vu zu erleben. Der neue Trainer des abstiegsbedrohten Fußball-Bundesligisten heißt Bo Henriksen. Er kommt aus Zürich und folgt auf den entlassenen Jan Siewert. Erst im November war Bo Svensson zurückgetreten.

Viele Mannschaften kicken danach derart uninspiriert, dass mir unweigerlich der Gedanke kommt, der Trainer könnte vor dem Anpfiff auf Knien gebettelt haben, dass die Jungs, die ja das Doppelte verdienen, sich bloß wirklich anstrengen. Und die Spieler sitzen da und posten noch schnell was auf Instagram.

Mimimimi.

Ist natürlich gnadenlos übertrieben, aber ich frage mich schon: Wo ist die neue Trainergeneration, die alles vereint? Also taktische Brillanz, tolle Führung und eine Motivationskunst, dass die Kabine brennt. Ich habe das Gefühl, dass sich die meisten Trainer sicherheitshalber bis zum Hals in die Taktik schmeißen, weil sie nichts anderes können (oder es sich nicht zutrauen).

So gesehen bin ich froh, wenn jetzt nicht wieder die üblichen Mechanismen greifen und Klubs wie Mainz und HSV den sicheren und bewährten Weg wählen, was Trainernamen angeht.

Nein, neue Trainer braucht das Land!

Polzin, der HSV-Fan auf der Trainerbank
Nach dem Aus von Tim Walter wird der Hamburger SV das Spiel bei Hansa Rostock mit Merlin Polzin auf der Trainerbank bestreiten. Mindestens das eine. Der 33-jährige, im Hamburger Stadtteil Bramfeld geborene bisherige Assistent, soll eine echte Chance erhalten.

In Mainz haben sie das Vakuum-Problem gestern gelöst und Bo Henriksen geholt. Dem sei es, so Sportvorstand Christian Heidel, „in seiner Karriere wiederholt und unter sehr verschiedenen Voraussetzungen gelungen, Mannschaften zu formen und dabei einen gleichermaßen pragmatischen, aber auch mutigen und schlussendlich erfolgreichen Fußball spielen zu lassen“.

Ich lese nur „pragmatisch“, und mir wird schon kalt. Aber ich bin ja auch Miesepeter. Außerdem muss man Heidel eines zugute halten: 2001 besetzte er die Mainzer Bank mit einem gewissen Jürgen Klopp, damals so weltbekannt wie Hamburger Fasnacht. Man sollte Heidel ewig dafür danken.

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