Mini-WM 1981: Als sieben Nationalspieler ausbüxten
Bundestrainer Jupp Derwall legte eine Siegesserie ihn. Dann ging die Nationalmannschaft im Winter auf Reisen. Das war der Anfang vom Ende
Inhaltsverzeichnis
Eine Länderspielreise mitten in der Saison auf einen anderen Kontinent, das kam öfter vor und stieß zu allen Zeiten auf wenig Gegenliebe. Manchmal gab es vor Ort Ärger. Besonders 1981, als der DFB seine besten Kicker zu einer sogenannten Mini-WM schicken musste – nach Uruguay. Der Anlass war ein seltsamer.
Knapp 50 Jahre zuvor hatte es die erste WM gegeben, die von Uruguay ausgetragen und auch gewonnen worden war. Deshalb sollte das Land die „Mundialito“ austragen und durfte alle ehemaligen Weltmeister einladen. Gespielt wurde vom 30. Dezember 1980 bis 10. Januar 1981.
Für die Europäer kein günstiger Termin. Sie hatten ihre Spieler gerade in die kurzen Weihnachtsferien geschickt. Aber eine Absage wäre äußerst unhöflich gewesen – England macht es trotzdem und lässt sich durch den zweimaligen Vize-Weltmeister Niederlande vertreten. Italien und Deutschland düsen indes über den großen Teich, mit Umsteigen dauert das 21 Stunden. Was damals alle Deutschen nur denken, spricht Vorstopper Karl-Heinz Förster (VfB Stuttgart) Jahrzehnte später aus: „Diese Mini-WM war unnötig wie ein Kropf. Ich weiß noch, dass darauf keiner wirklich Lust hatte. Wir Spieler haben nur mit dem Kopf geschüttelt über diese Veranstaltung, und es war uns klar, dass es hier passieren könnte.“
Es – das war das Ende der längsten Erfolgsserie der DFB-Historie. Seit Bundestrainer Jupp Derwall im Sommer 1978 sein Amt angetreten hat, verlernt Deutschland das Verlieren. 23 Spiele, darunter 18 Siege, keine Niederlage – eine Rekordserie, die bis ins Jahr 2023 gehalten hat und in die der Gewinn der Europameisterschaft 1980 fällt. Das Land ist wieder verliebt in seine Nationalelf, deren Stars Bernd Schuster und Karl-Heinz Rummenigge heißen.
Bei der EM 1980 in Italien waren die Deutschen das jüngste Team, ihm gehört die Zukunft – und Jupp Derwall lässt alles laufen. Es pflegt das Prinzip der langen Leine. Solange der Erfolg da ist, gibt es dem jovialen Rheinländer Recht. Aber dann besteigt diese verheißungsvolle Mannschaft am 28. Dezember 1980, noch mit vom Festbraten gefüllten Mägen, den Flieger nach Montevideo in den südamerikanischen Sommer. 40 Grad Temperatur-Unterschied kommen auf die 18 Kicker zu und ein Rendezvous mit der Weltspitze. Es geht in der Vorrunde gegen Argentinien und Brasilien, nur der Sieger kommt weiter. Das Trio bildet das, was man zuweilen etwas leichtfertig, eine „Todesgruppe“ nennt.
Es geht also gegen den noch ganz jungen, aber schon sagenumwobenen Diego Maradona und Argentiniens Finalhelden von 1978, Mario Kempes. Im zweiten Spiel dann gegen Zico, Falcao und Socrates – Herausforderungen, von denen jeder Fußballer träumt. Eigentlich. Aber quasi ohne Vorbereitung gegen diese Weltstars zu spielen – davor haben sie doch etwas Bammel. Unvorbereitet ist auch Derwall, der beispielsweise sagt: „Von den Brasilianern habe ich keine Ahnung.“
Es kommt, wie es kommen musste, wenn auch recht unglücklich. Das Jahr 1981 beginnt mit einer Niederlage. Die Rekordserie endet gleich an Neujahr, als es in Deutschland noch nach Silvesterböllern riecht. Gegen Weltmeister Argentinien führen sie bis fünf Minuten vor Schluss 1:0, dann unterläuft Manni Kaltz ein Eigentor, und in vorletzter Minute trifft Ramon Diaz zum 2:1 für Argentinien. „Wären diese letzten Minuten nicht gewesen, alle Welt hätte von einer großartigen Leistung geschwärmt“, schreibt der Kicker.
Aber was jetzt? Der Turniersieg ist fast schon unmöglich, auf das zweite Spiel müssen sie noch sechs Tage warten. Die Laune sinkt. Derwall lässt bei bis zu 32 Grad Celsius zweimal täglich trainieren, „so hart wie nie bei der Nationalmannschaft“, seufzt Kaiserslauterns Hans-Peter Briegel. Den Spielern steht der Sinn nach Ablenkung. Sie wollen mehr als nur Tennis spielen.
Am Abend des 4. Januar kommt es zum Bruch zwischen Derwall und einem großen Teil der Mannschaft. Von einem Empfang beim deutschen Botschafter zurückgekehrt und schon leicht angeschäkert, soll für sieben Kicker der Abend noch nicht vorbei sein. Um 23.30 Uhr bestellen Hansi Müller, Kalle Rummenigge, Rainer Bonhof, Manfred Kaltz, Hans-Peter Briegel, Toni Schumacher und Mirko Votava ein Taxi. Wer nicht mehr reinpasst, lässt sich von der Security chauffieren.
Vom Botschafter mit einem Reiseführer ausgestattet, wollen sie das Nachtleben Montevideos erkunden. Dass Derwall und sein Co-Trainer Erich Ribbeck sie bei der nicht genehmigten Abfahrt nach Zapfenstreich vom Restaurantfenster aus sehen können – man muss zehn Minuten auf das Taxi warten –, stört sie gar nicht.
„Bundestrainer Jupp Derwall verlor auf dieser Reise seine Autorität, weil deutlich wurde, was für ein disziplinloser Haufen da für den DFB unterwegs war. In Uruguays Metropole hatte eine beträchtliche Anzahl Spieler brasilianische Techniken bestaunt, allerdings nicht im Stadion, sondern in der Animierbar ‚Go-Go-Girls‘, wo sich auf Podesten Gastarbeiterinnen feilboten“, echauffiert sich die Süddeutsche Zeitung. Nicht bestätigt werden kann eine Meldung des Hamburger Abendblatts, Derwall und Ribbeck seien auch in der Bar gewesen und hätten mit ihnen bis zwei Uhr nachts gefeiert.
Dazu passt wohl kaum, dass Derwall die betreffenden Spieler am nächsten Tag vor versammelter Mannschaft rund gemacht hat, wie er dem Kicker erzählt. Er erzählt noch mehr über den Ausflug der tolldreisten Sieben: „Das war eine klare Provokation. Eine Herausforderung. Wir Trainer, Erich Ribbeck und ich, waren beleidigt. Dass die nicht mal nur in die Eisdiele gingen, war mir klar. Das war früher auch so. Aber dass sie es in diesem Stile machen – und dann auch noch ihre Familien daheim…“ Derwall verspricht, was er in den kommenden drei Jahren doch nicht halten wird: „Ich werde die Zügel anziehen.“
Das gelingt ihm nicht mal kurzfristig, am 7. Januar setzt es gegen Brasilien, wieder nach Führung, ein deutliches 1:4. Nun steht auch Derwall unter Beschuss, nicht nur in der Heimat. Argentinische Reporter fragen ihn, wie sicher sein Trainerstuhl denn noch sei, und erheben Bestechungsvorwürfe, weil Brasilien nun ins Finale zieht. Argentiniens Trainer Luis Cesar Menotti grollt: „Die Berufsauffassung der Deutschen war eine Zumutung.“
Was auch an den letzten Worten Derwalls in der Abschlussbesprechung gelegen haben mag. So wie immer gab er zum Besten: „Lasst uns ein gutes Spiel machen, dann können wir ein gemütliches Bierchen trinken und lecker Schnittchen essen.“ Doch diese Reise auf einen fremden Kontinent hat keinem geschmeckt.
- Fun fact 1: Deutschland spielte dreimal an Neujahr und verlor immer.
- Fun fact 2: Berti Vogts und Jogi Löw kamen später auf je 22 Spiele ohne Niederlage. Dann verloren sie zuhause gegen Brasilien.