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Der Fußballnachwuchs braucht Vorbilder
Kinder machen nach, was die Großen vorgeben. Beim Fußball sollte man noch vorsichtiger sein.
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Vorbilder sind wichtig für Spielerinnen und Spieler im Jugendfußball. Diese orientieren sich an den Profis, deren Spielweise, aber auch deren Verhalten im Stadion, welches sie vor dem Bildschirm genau beobachten. Das war schon immer so. Wer wollte nicht Pässe schlagen wie Wolfgang Overath, den Spielern einen Knoten in die Beine spielen wie Jay-Jay Okocha, Fallrückzieher und Kopfballtore zelebrieren wie Uwe Seeler? Übrigens alles Spieler ohne Skandale.
Beim Amateurfußballkongress des DFB kam auch immer wieder die Sprache auf den Einfluss der Profis auf junge Spieler im Amateurbereich. Die beiden Bundesligen kamen dabei nicht gut weg. Die Mehrheit war dafür, schneller und härter zu sanktionieren, wenn vor dem gegnerischen Freistoß der Ball weggeschossen wird oder gar eine Rudelbildung – in der Regel wegen absoluter Nichtigkeiten – initiiert wird.
Vor allem aber wurde immer wieder angemerkt, dass sich schon Kinder die schlechten Angewohnheiten der Profis abgucken und Jugendtrainer die Folgen ausbaden müssen. Dass Eltern die Pöbeleien vieler Fans in den Stadien auch auf den Dorf- und Stadtteilplätzen nachahmen, rundet das Elend nur ab.
Trainern und Vorständen kommt eine besondere Verantwortung zukommt. Sie müssen ihren Spielern vermitteln, dass Fairplay keine Schwäche, sondern eine Größe ist. Sie müssen vom Feld verwiesenen Spielern klarmachen, dass man vor dem Sportgericht nicht für sie lügen werde, nur um das Strafmaß zu mindern. Und sie müssen erläutern, dass Disziplin auf dem Feld zu Erfolg führt, was für Taktik und Teamgeist gleichermaßen gilt.
Wir werden im nächsten Jahr zusammen mit dem Berliner Fußball-Verband drei Veranstaltungen zur Stärkung der Trainer, der Vorstände und zum Umgang mit Eltern durchführen und konnten dafür schon jetzt absolute Expertinnen und Experten gewinnen. Vor allem aber wollen wir die Vereine bzw. deren Vertreter selbst zu Wort kommen lassen.
- Wo genau drückt eigentlich der Schuh?
- Welche Maßnahmen können helfen?
- Wo müssen die Verbände Unterstützung leisten?
- Welche Ideen haben wir, das Spiel unaufgeregter und damit friedlicher zu machen?
Leider wird unser Vorhaben aktuell von Profivereinen und deren Funktionären torpediert. Bayern München will tatsächlich Jerome Boateng eine neue Chance geben, obwohl dieser wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Die Wiederholung des Prozesses wegen eines Verfahrensfehlers ist nicht nicht mit einem Freispruch zu verwechseln. Das neue Urteil könnte auch eine höheren Strafe beinhalten. Aus dem Verein verlautet, es gelte schließlich die Unschuldsvermutung. Aha!
Meine Vermutung ist, es herrscht nach der schlecht gemanagten Transferperiode vor allem ein Mangel an Defensivkräften. Da drückt man schon mal ein Auge zu, so wie Joshua Kimmich, immerhin stellvertretender Kapitän von Bayern und der Nationalmannschaft. Er sieht die Verfehlungen des einstigen Weltstars gelassen und verkündet allen Ernstes folgenden Kabinenfunk: „Das ist nicht unser Thema. Viele von uns haben viele Titel mit ihm gewonnen. Ich habe mich gefreut, ihn wiederzusehen.“
Ähnlich dreist treibt es Hertha BSC mit einem anderen Berliner Jungen. Keeper und Ex-Ultra Marius Gersbeck hat im österreichischen Trainingslager einem Einheimischen das Gesicht so dermaßen zertrümmert, dass dieser eine längere Zeit im Krankenhaus zubringen musste. Eine Gefängnisstrafe für den „Prügel-Torwart“ (B. Z.) konnte gerade noch abgewendet werden. Er musste „nur“ 40.000 Euro Strafe zahlen, auch weil er sich vorher schon außergerichtlich mit dem Opfer geeinigt hatte. Dieses verzichtete auf eine Anzeige, das zuvor unter Täter und Opfer sehr hohe ausgehandelte Schmerzensgeld dürfte dafür hilfreich gewesen sein. Der Berliner Geschäftsführer gab tatsächlich den Satz „Es gibt kein Richtig und kein Falsch, es ist ein ganz schmaler Grat.“ von sich.
Wie erklären wir dieses Statement unseren Jugendlichen?
Nun sind es nicht nur Berliner, die sich eklatante Fehltritte geleistet haben, aber bei ihren Vereinen ungeschoren davonkamen. Marco Reus fuhr viele Jahre ohne Führerschein, Frank Ribery musste sich vor Gericht wegen einer minderjährigen Prostituierten verantworten, Kevin Großkreutz urinierte in eine Hotelhalle. Uhren wurden geschmuggelt, Drogen konsumiert, Steuern hinterzogen, Autos und auch Spiele verschoben. Der Profifußball ist voll mit Skandalen.
Übrigens gehört für mich auch die jüngste Abstimmung der Granden des deutschen Fußballs Karl-Heinz Rummenigge und Aki Watzke dazu, die im Beisein von DFB-Präsident Bernd Neuendorf beim Uefa-Kongress für die Rückkehr von russischen Jugendmannschaften in internationale Wettbewerbe stimmten.
Die Verfehlungen erschweren es den Trainern und Funktionären im Amateurfußball, ihre Zöglinge in die richtigen Bahnen zu lenken. Gerade bei jungen Spielern genießen viele Profis Vorbild- oder gar Kultstatus. Zudem halten es viele Eltern für ein realistisches Erfolgsmodell, den Filius zum Profi zu treiben. In der Regel funktioniert das nicht, schon gar nicht bei den Überehrgeizigen und denen, die alles auf eine Karte setzen, nämlich ihren Nachwuchs.
Wichtiger als Millionen auf dem Konto und dicke Autos in den Garagen wären ein halbwegs normales Sozialverhalten, Disziplin und oft genug auch Geduld. Nur am Rande sei erwähnt, dass ein großer Anteil der Profis nach ihrer Karriere bankrott ist, aber nichts außer Fußball gelernt haben.
Nun nehmen es einige Vereine an der Basis selbst nicht so genau, wenn es um die Bezahlung von Spielern geht. Es gibt sogar welche, bei denen Jugendspieler Geld für gewonnene Punkte erhalten, gern in bar und ohne Beleg. Man könnte also sagen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Aber glücklicherweise sind das nur wenige, wenn auch schändliche Ausnahmen. Die große Mehrheit der 24.000 Vereine spielt vor allem Fußball, weil es Spaß macht, die Gemeinschaft gestärkt wird und man darüber die Möglichkeit hat, jungen Menschen etwas fürs Leben mitzugeben – zum Beispiel Freunde.
Der legendäre Sammy Drechsel schrieb in den 50er-Jahren das großartige Buch „11 Freunde müsst ihr sein“ und beschwor Teamgeist und Zusammenhalt. Seitdem hat sich vieles verändert. Selbstlose Stars wie Horst Eckel oder Uwe Seeler sind nicht mehr da. Der Fußball lebt dennoch weiter, gerade in den unteren Ligen, auch wenn aus den Hartplatzhelden von einst inzwischen oft Kunstrasen-Freunde geworden sind.
Früher war nicht alles besser, gerade die Bedingungen und die Ausrüstung waren viel schlechter. Aber Vorbilder wie die beiden genannten Nationalspieler und späteren Bundesverdienstkreuzträger suche ich heute vergebens.
Die Europameisterschaft im eigenen Land bietet unseren Nationalspielern eine ideale Bühne, um sich an Eckel und Seeler zu orientieren. Sie könnten sich als wahre Vorbilder präsentieren, vielleicht indem sie sich in Amateurvereinen als Stars zum Anfassen zeigen. Und zwar regelmäßig und aus eigenem Antrieb, nicht nur zu von Sponsoren verordneten Terminen.
Natürlich müssten ihre Vereine mitspielen und nicht in ständigem Kontrollwahn ihre Spieler „behüten“. Vielleicht würden sich die Bosse sogar darauf besinnen, woher die Stars einst kamen, nämlich fast alle von der Basis der Amateurvereine. Womöglich würden sie sich sogar ein Beispiel an Humphrey Bogart alias Rick nehmen, der in der Schlussszene des Kultfilms „Casablanca“ zu Capitaine Renault sagt: „Louis, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!“