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20 Jahre nach Rehakles: Souvlaki und Fußballfrust

Traurig, aber wahr: Im Land des EM-Siegers 2004 interessierten sich die Menschen zuletzt eher für Basketball

Foto: IMAGO / Laci Perenyi

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Genau 20 Jahre ist es her, dass Griechenland sensationell Europameister wurde. Wir wissen es alle noch. Trainer: Otto Rehakles. Hinten sichert ein Libero die Sechserabwehrkette ab. Und vorn Angelos Charisteas. Dieser Minimalismus erinnert mich in diesen Tagen ein bisschen an die EM 2024. Im Vergleich zu England und Frankreich waren die Griechen damals aber Tormaschinen.

Millionen Hellenen feierten nach dem 1:0 gegen Deco, Figo und Cristiano Ronaldo auf den Straßen, tags drauf fuhr der mit Nationalflagge und Siegeslorbeer geschmückte Mannschaftsbus quer durch jahrtausendealte olympische Stätten in Athen. Was ist davon übriggeblieben?

Wenig.

Ich war letzte Woche für ein paar Tage in Griechenland. Anfangs wunderte ich mich darüber, dass nicht viel über Fußball gesprochen wurde. Gut, die Griechen sind in der Playoff-Quali an Georgien gescheitert. Aber so ein ganz klein bisschen Fußballbegeisterung?

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Als am Freitag das Viertelfinale Spanien gegen Deutschland anstand, ging ich rechtzeitig in mein Stamm-Strandrestaurant, um einen guten Platz zu ergattern. Oben der Fernseher, hinten das Meer, vor mir Souvlaki.

Den bekam ich dann auch leicht: Ich war nämlich fast allein. Hinter mir eine griechische Familie, die sich deutlich mehr mit ihrer Lammhaxe beschäftigte als mit dem vorweggenommenen Endspiel. Zwei der vier Personen saßen sogar mit dem Rücken zum Fernseher. Ansonsten war das Restaurant besetzt wie ein handelsüblicher Sturm: Zwei Männer hatten sich zwei Tische neben mir niedergelassen und guckten semi-interessiert zu.

Ich verdrückte meine wie immer sehr leckere Portion Souvlaki mit den typisch griechischen Riesenpommes (für zusammen 7,50€), verfolgte die erste Hälfte des Spiels und ging dann konsterniert zurück in die Ferienwohnung, um dort weiter unter Nagelsmanns Startelf-Fehler zu leiden.

Ich war enttäuscht. Erinnerte mich an die Weltmeisterschaften 1990 und 2014, als ich mich ebenfalls in Griechenland aufhielt: Die Menschen schauten begeistert zu, obwohl ihre Mannschaft auch damals keine Rolle spielte.

Fußball-EM 2004: Als Otto Rehhagel mit Griechenland den EM-Titel gewann
Otto Rehhagel ist eine Trainer-Legende. Mit dem Gewinn der Fußball-EM 2004 heute vor 20 Jahren machten ihn die Griechen zu “Rehakles”.

Das hat sich geändert. Nehmen wir die Titelseiten der griechischen Sportzeitungen gestern. Sie enthielten allenfalls Spuren von Fußball-EM. Viel prominenter platziert: Basketball. Das ist der Sport, bei dem der Ball von oben aufs Netz fliegt, also wie bei Kai Havertz.

Griechenland hat sich am Wochenende für Olympia qualifiziert, das war natürlich wichtiger.

Außerdem auf Seite 1: Geschichten über Fußballer der ersten griechischen Liga, von denen ich noch nie gehört hatte. Ankündigungen von Storys im Innenteil über Panathinaikos, Paok, Olympiakos. Und, ganz groß: "Die Wahrheit über Masouras!" Der ist aber gar nicht bei der EM, sondern Spieler des Conference-League-Gewinners Piräus.

Immerhin erreicht die EM einigermaßen anständige TV-Einschaltquoten: Das Fußballspiel England-Schweiz kam auf 27,1 Prozent Marktanteil – das Basketballduell Griechenland-Slowenien schauten parallel 30 Prozent. Bei uns undenkbar.

Nicht falsch verstehen, nix gegen Basketball, das in Griechenland eine ganz andere Bedeutung hat als hierzulande. Aber jetzt ahne ich endlich, was Julian Nagelsmann meinte, als er sagte: „Manchmal habe ich das Gefühl, wir wissen gar nicht, in was für einem schönen Land wir leben.“

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