1000 Wege, einen Elfer zu finden
Die Schiedsrichter verwirren Deutschland: Niemand versteht mehr, wann Strafstoß ist. Spielen bald die ersten Unparteiischen Schere-Stein-Papier?
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Ich habe es endgültig aufgegeben, Elfmeterpfiffe vorauszusagen. Es ist einfach hoffnungslos. Wenn im Strafraum jemand hinfällt und der Schiedsrichter zur Außenlinie läuft, nimmt heutzutage der Zufall seinen Lauf. Man könnte im VAR-Büro genauso gut die Ziehung der Lottozahlen übertragen. Das Ergebnis ist nämlich meistens: Random.
Die Bundesliga-Schiedsrichter verwirren Deutschland.
Klare Strafstöße verweigern sie, und andere, die in die Kategorie „übertriebene Kontaktsuche“ gehören, wie es Ex-Schiri Manuel Gräfe treffend nennt, werden gepfiffen. Manchmal habe ich den Eindruck, beim DFB existiert ein geheimes Handbuch „1000 Wege, einen Elfer zu suchen“; denn irgendein Weg führt immer zum Ziel, man muss nur wollen.
So kann das nicht weitergehen. Wenn man das Ganze ins echte Leben übertragen und der VAR meine Besuche im Supermarkt checken würde, wo ich ständig von irgendwem angeeckt werde, gäbe es an der Kasse folgende Ansage: „Macht 22,99 Euro und vier Elfer.“
Am Samstag erlebten wir die nächsten Tiefpunkte in Sachen Elferpraxis: Nichts war mehr klar, sämtliches Regelvorwissen wertlos, denn die Schiris pfiffen nach dem Prinzip „Ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt“.
In Mönchengladbach gab Daniel Siebert zum Beispiel einen Elfer, nachdem der Schnürsenkel eines Heidenheimers eine Gladbacher Sockenfaser gestreift hatte, worauf der Spieler Alassane Plea so theatralisch hinfiel, dass jeder olympische Judo-Schiri ohne zu zögern IPPON gegeben hätte.
Sieben (!!!) Jahre nach Einführung des Video Assistant Referee suchen wir also immer noch die Linie, an der wir uns orientieren können. Und ich meine nicht die kalibrierte. Wir erleben Schiedsrichter, die einsam stundenlang in einer Mischung aus Trauer und Ratlosigkeit auf den Bildschirm starren. Manchmal sieht das aus, als würden sie auf eine Mail ihrer Liebsten warten, obwohl die schon vor einem Monat Schluss gemacht hat.
Den nächsten noch tieferen Tiefpunkt erlebten wir am Ende des Topspiels in Leverkusen: Jonathan Tah haute den einschussbereiten Hugo Ekiteké derart weg, dass es in jeder anderen Lebenssituation eine Festnahme wegen vorsätzlicher Körperverletzung zur Folge gehabt wäre. Stattdessen ließ der Schiedsrichter gütig Fünfe gerade sein und wollte nichtmal fernsehen.
„Ganz klarer Elfmeter“, sagte Eintracht-Trainer Dino Toppmöller nach dem 1:2 in Leverkusen. „Wir bereiten uns die ganze Woche akribisch auf so ein Spiel vor. Dann entscheiden solche Kleinigkeiten das Spiel.“ Da hatte er ehrlich gesagt nicht unrecht.
Es ist manchmal fast schon komisch. „Mir werden viel zu viele Elfmeter gepfiffen mit dem VAR. Und den, den er geben muss, der wird nicht gepfiffen“, sagte Sky-Experte Dietmar Hamann.
Früher hieß es: Elfer ist, wenn der Schiri pfeift. Und die Entscheidungen waren größtenteils nachvollziehbar. Heute bietet der VAR bei Abseitsentscheidungen sehr gute Hilfe, aber in Sachen Elfmeter würfeln die Unparteiischen offensichtlich. Ich geh‘ raus, ich geh‘ nicht raus, ich pfeife, ich pfeife nicht.
Bevor es zu ersten Schere-Stein-Papier-Situationen auf dem Platz kommt, brauchen wir dringend eine Elfer-Nachschulung beim DFB. Ich biete mich an und halte sie gern. Es ist im Prinzip ganz einfach. Vor allem muss man verinnerlichen: Zufall kommt nicht von Fallen!
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